Die Favoritin
eigentliche Acllahuasi, ein riesiges Gebäude, wo ein Saal auf den anderen folgte, geschmückt mit Bespannungen und Nischen, in denen Statuen und Gefäße aus Gold und Silber blinkten … Seht all das mit Augen, die nichts als unsere enge, verräucherte Hütte kannten, und Ihr begreift das entgeisterte Staunen, mit dem ich all das wahrnahm. Galerien trennten die Säle von den Werkstätten. Ganz hinten, dicht beieinander wie die Waben eines Bienenstocks, reihten sich unsere Zellen.
Die Kultstätten befanden sich inmitten prachtvoller Gärten. Auch das etwas Unfaßliches! Die Erde mit Blumen und anderen Ziergewächsen zu bepflanzen wäre bei uns im Dorf einem Sakrileg gleichgekommen. Weiter weg erstreckten sich das Lamagehege, die Wirtschaftsgebäude, die Pflanzungen, und immer traf der Blick am Horizont auf Mauern, die uns an unsere Grenzen gemahnten.
Eine nahe Verwandte des Inka war die Vorsteherin des Acllahuasi. Ihr stand ein Intendant zur Seite, auch er fürstlichen Geblüts. Gelehrte Ärzte wachten über unsere Gesundheit. Und schließlich waren wir den Mamacunas untergeben, ehemaligen Acllas, deren überreife Schönheit das Interesse des Inka nicht mehr zu fesseln vermochte und die im Acllahuasi sowohl eine ihres Ranges würdige Altersstellung wie auch Zöglinge fanden, denen sie ihre Erfahrungen und ihr Wissen weitergeben konnten.
Nach unserer Ankunft mußten ich und die anderen vom Huarmicuc ausgewählten Mädchen der Provinz eine Untersuchung bestehen, die unsere Jungfräulichkeit feststellte. Das mag Euch anstößig erscheinen, Pater Juan. Doch bei uns Rohsteinen, die dereinst, geschliffen und nochmals geschliffen, die Sinne des Inka erfreuen sollten, war es entscheidend, unsere Unschuld zu überprüfen, schneidet doch der Steinschneider einen Smaragd auch erst, nachdem er sich der Reinheit seines Wassers versichert hat. Ihr wollt unsere Sitten kennenlernen, also müßt Ihr alles hören.
Danach wurden wir geschoren, man ließ uns nur ein paar kurze Strähnen über der Stirn und an den Schläfen stehen, die eine Mamacuna zu Zöpfen flocht. Über den Verlust dessen, was wir Frauen hienieden als unseren vornehmsten Schmuck betrachten, tröstete mich der Gedanke, daß meine Haare ja wieder lang wären, wenn ich vor dem Inka erscheinen würde.
Dann kleidete man uns ein. Hätte die Anwesenheit eines hohen Sonnenpriesters uns nicht gelähmt – schließlich kannten wir bis dahin als Mittler zu den Göttern nur unsere bescheidenen Dorfseher –, es wäre uns ein Freudenfest gewesen, die neuen Sachen anzuziehen. In einer ins Violette spielenden Tunika, mit einem dünnen kleinen Schleier auf dem geschorenen Kopf, gingen wir davon, angeführt von einer älteren Elevin, die uns in unsere Pflichten einwies.
Obwohl Dienerinnen für unseren Unterhalt sorgten, dürft Ihr nicht denken, daß wir unsere Zeit mit Geplapper und Schlendereien vertaten. Wir hatten soviel zu lernen! Einmal die Rituale des Kults, die in unserer Ayllu, wo die Inbrunst der Herzen sich mit Unkenntnis gepaart hatte, etwas zu kurz gekommen waren, dann das Schmücken der Altäre, dann die Gesänge, die Tänze, die stets die heiligen Zeremonien eröffneten. Das allein hätte ausgereicht, unsere Tagesstunden wie auch unsere Köpfe auszufüllen, doch hatte die Mamacuna, der unsere Gruppe unterstand, uns außerdem gute Manieren beizubringen, uns das Weben und Sticken und die Herstellung des Chichaweins zu lehren … Wie grob mir die Chicha meiner Mutter nun vorkam im Vergleich mit dem duftenden, schäumenden, hellen Getränk, das wir aus den riesigen Krügen abgossen, in denen der Mais nach dem Sieden langsam gor!
Nach dem ersten Jahr waren meine Finger so geschickt geworden, daß unsere Mamacuna mir das Weben der Chuspas anvertraute, kleiner Taschen, die der Inka, seine Verwandten und einige Privilegierte stets an einem Schulterband bei sich trugen und die das kostbare, ausschließlich ihrem Gebrauch vorbehaltene Kokablatt enthielten.
Im Jahr darauf hatte ich die hohe Ehre, bei der Herstellung einer Tunika aus Vikunjawolle mitzuwirken, die von der Coya, unserer Kaiserin, befohlen worden war.
Das Gewebe hatte, wie ich noch heute weiß, eine wunderbare Farbe von rostigem Rosa, und es war so weich, so schmiegsam, daß mich erlesene Empfindungen durchrieselten, wenn ich es berührte. In demselben Jahr wurde ich auch mannbar. Ich erhielt neue Kleider und meinen endgültigen Namen: ›Asarpay‹, den ich in Eure Sprache mit ›Bescheidene Gabe‹
Weitere Kostenlose Bücher