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Die Favoritin

Titel: Die Favoritin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Davenat Colette
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ist, wenn man keine Bildung hat.
    Als ich Huascar meinen Wunsch mitteilte, daß ich mich bilden wolle, nahm er es als eine Laune und machte sich lustig darüber.
    »Versteh doch, mein allmächtiger Herr«, beharrte ich, »damit könnte ich dir näher sein und dir Ehre machen.«
    »Eine Frau braucht nur schön, zärtlich und treu zu sein.«
    »Das will ein Lama von seinem Weibchen auch!« schrie ich wütend.
    Und, was selten geschah, Huascar lachte.
    Endlich, nachdem ich ihm genug in den Ohren gelegen hatte, gab er nach und bat die Amauta, mich zu empfangen. Die Amauta waren unsere Gelehrten und Philosophen, sie lehrten an der Yacha Huaca, einem Kolleg im Viertel Huacapuma, das ausschließlich jungen Prinzen und den Häuptlingssöhnen der unterworfenen Völker offenstand.
    Die Gunst, die sie mir, dem Inka zu Gefallen, erwiesen, war außerordentlich. Daher stieß ich anfangs auf allerhand Zurückhaltung. Doch bewies ich meinen Lehrern so große Verehrung und Ergebenheit, war ich so unterwürfig und aufmerksam, daß sie nach und nach ihre Vorbehalte vergaßen und sich meines armen Gehirns erbarmten, das noch einer ringsum vermauerten Hütte glich.
    Als sie da nun ein wenig Licht hineinbrachten, staunte ich, verblüfft und geblendet von den Aussichten, die sich mir eröffneten, und wollte nur noch eins: die Mauern eine nach der anderen schleifen, die mir das strahlende Licht verwehrten, nach dem sich meine Seele verzehrte.
    Jede Woche kam ich von Yucay und widmete einen ganzen Tag meinen Studien.
    Ich lernte, das Ketschua, unsere Sprache, mit höfischer Eleganz zu sprechen. Ich vertiefte meine Religionskenntnisse, besonders über Viracocha, den Schöpfer der Erde, ihrer Gestalt und ihrer Lebewesen, eine Gottheit, die in den Acllahuasi eher vernachlässigt wurde, weil man Inti, den Sonnengott, höher stellte. Ich versuchte mich in der Astronomie und erlernte bald auch recht geschickt die Quipus zu handhaben, jene Schnüre mit Knoten, in verschiedenen Längen und Farben, die uns in allem als Gedächtnishilfe dienten. Gewohnheiten ändern sich schwer: die Mehrheit der Gebildeten hält noch heute an den Quipus fest und verweigert sich bislang der Schrift, ein doch unschätzbares Ausdrucksmittel des Denkens, das wir Euren Landsleuten verdanken.
    Was mich am meisten begeisterte, war die Geschichte unseres Reiches.
    Eine sehr schöne Geschichte, und ich kann dem Vergnügen, Euch seine Ursprünge zu erzählen, nicht widerstehen. Sie beginnt wie eine Sage. Ihr nehmt sie sicher auch als solche, Pater Juan, doch bedenkt, ob nicht jede Religion sich zu Teilen auf Wunder gründet.
    Vor ungefähr vierhundert Jahren bestand dieses Land nur aus Wäldern und Buschwerk. Die Eingeborenen, die es bevölkerten, gingen nackt oder mit Tierhäuten bedeckt, wohnten in Höhlen, hatten keine Götter noch eine sittliche Ordnung, und wenn sie hungerten, fraßen sie sich gegenseitig.
    Über soviel Barbarei betrübt, beschloß unser Vater die Sonne, ihnen einen seiner Söhne und eine seiner Töchter zu schicken, die sie lehren sollten, Häuser zu bauen, die Erde urbar zu machen, Viehherden zu sammeln und ihre Wolle zu spinnen und zu weben, kurz, zu leben, wie es die Selbstachtung befiehlt.
    Der Sonnenvater gab seinem Sohn, Manco Capac, eine goldene Rute mit und gebot ihm, er solle dort, wo die Rute sich mühelos in die Erde senken lasse, die Hauptstadt seines Reiches errichten.
    Auf unserer Welt nahe dem Titicacasee angekommen, wanderten Manco Capac und Mama Ocllo, seine Gemahlin und Schwester, lange Zeit umher. Sowie sie in ein freundliches Tal gelangten, versuchten sie, die Rute in den Boden zu treiben, doch es war immer vergeblich. Bis sie eines Tages wahrhaftig ganz gerade in die Erde eindrang. Und dies war der Ort, an dem später der Sonnentempel erbaut wurde … In ihrer Freude, daß sie die Stätte gefunden hatten, brachen Manco Capac und Mama Ocllo jeder nach seiner Richtung auf, die frohe Botschaft zu verkünden. Da nun die Wilden die Gotteskinder so prächtig gekleidet und im Strahlenglanz himmlischen Lichtes erblickten, beteten sie sie an und folgten ihnen. Als Männer und Frauen in hinreichender Zahl versammelt waren, führte Manco Capac sie an die Stelle, wo die goldene Rute erglänzte, und sie bauten ringsum eine Stadt, die sie Cuzco nannten, den ›Nabel‹, was ihr ehrgeiziges Streben bezeugt! Und so wurde das Reich der Inkas gegründet, das Tahuantinsuyu, das die Spanier in Peru { * } umtauften, ein Name, der uns völlig fremd ist

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