Die Favoritin
uns führte.
Wir betraten ihn über den einzigen Zugang: eine Treppe, die sich zwischen weißen Gipfelschatten abwärts wand und sich allmählich verbreiterte, bis sie in Plattformen mündete, wo der Fels dem Erdreich wich. Dort stufte sich den Hang hinab die Stadt. Und unterhalb der Wallmauern und der gemeinen Wohnungen hingen am Berg wie runde Balkone die Pflanzterrassen, hoch über Waldschluchten und Bächen.
Normalerweise bevölkerten Priester und Sonnenjungfrauen diese dem Kult und dem Gebet geweihten Stätten. Diese aber stand leer … Ein Fluch? Eine rätselhafte Seuche? Waren mörderische Antis eingefallen, kannibalische Stämme vom Osthang der Berge, gegen die wir uns dereinst verteidigt hatten? Manco wollte mir keine Erklärung geben, doch mußte die Stadt seit Menschengedenken verlassen stehen.
Eine geile Vegetation hatte sich genüßlich jede Ausschweifung erlaubt, überwucherte Paläste, Tempel, Häuser, erdrückte sie mit ihrer Last, versprengte ihren Samen wie ein berauschtes Tier. Zedern und Baumfarne waren in den Höfen, den Sälen gewachsen, sogar in den Wasserbecken; Bambusdickichte, Berberitzensträucher, spitzige Agavenkolonien teilten sich Plätze und Gassen, und Lianen, Brombeerbüsche, Orchideen, hundert Arten Luftwurzler machten sich auf den Dächern breit.
Zum Glück fehlte es nicht an Arbeitskräften. Alle Dörfer, auf die wir getroffen waren, hatten sich aufgemacht und unserem Zug angeschlossen.
Etliche Monate kampierten wir auf den entstrüppten Terrassen. Aber als die Wege geräumt und neu gepflastert, die Wasserleitungen wieder instand gesetzt waren, als die Mauern abgekratzt und mit feuchtem Sand geschliffen und nochmals geschliffen waren, bis sie ihre Jugend wiedergewannen, und als die großen Hauben aus hellem Stroh sich heiter in der Landschaft gruppierten, welch einen Anblick bot da unsere Stadt!
Zwischen der Ober- und der Unterstadt erstreckte sich der Intipampa, eine weite Rasenfläche, Fest- und Richtplatz, durch dessen Mitte ein Kanal floß. Das Wasser, das von den Gletschern kam, speiste Becken und Fontänen und gelangte in jeden Hof, jeden Garten. Weiter unten wässerte es die Kulturen.
In der Oberstadt lag der viereckige Inti Cancha, der heilige Platz. Dort standen sich der Palast des Hohenpriesters und der Tempel gegenüber. Zu ihren Seiten hatten die Würdenträger und ihre Familien ihre Residenzen, auch unsere Gelehrten, die Amauta. Zur Linken, ein wenig abseits, erhob sich mit Galerien und blühenden Patios Mancos neuer Palast, der Palast, den jeder Inka zu errichten pflegte, was ihm bisher aber nicht vergönnt gewesen war. Die Entdeckung riesiger Blöcke aus Porphyr und weißem Granit, die schon in Form gehauen und bearbeitet waren, vermutlich einst zu einem religiösen Monument bestimmt, hatte die Bauzeit verkürzt. Die Türen mit den schweren Stürzen aus einem Block waren überaus schön.
Die Unterstadt umfaßte neben anderen wichtigen Gebäuden Gefängnisse, die Werkstätten, wo Frauen die pflanzlichen und mineralischen Materialien zermahlten, um die Farbstoffe zum Färben der Wolle zu gewinnen, die man nebenan im großen Acllahuasi webte. Es war mit kleinen Mädchen bereits wohlversehen und wurde geleitet von den Mamacunas von Cuzco. Etwas weiter konnte man die Thermen bewundern, zehn in Stufen angelegte Bäder, wo über goldenen und silbernen Grund das Wasser rauschte.
Die Schilderung unserer Stadt, die ich absichtlich beschränkt habe, um Euch nicht durch zu viele Details zu ermüden, bleibt gleichwohl leblos, fürchte ich. Es fehlt das Wesentliche: ihr Relief. Vergeßt nicht, Pater Juan, daß die Pläne der Baumeister sich einem sehr stark geneigten Felsgrund fügen mußten. Und also muß ich Euch von den Treppen berichten. Treppen im Übermaß! Man konnte keine drei Schritte gehen, ohne daß eine dem Boden entsprang, um die Abschüssigkeiten auszugleichen. Gebäude und Plätze wurden von einem Irrgarten Tausender aus dem Stein gehauener Treppchen und Stufen gerahmt, die bald beschwingt, lebhaft, graziös, bald gravitätisch oder feierlich verliefen, immer neue Anblicke und Winkel schufen und unserer Stadt einen nicht zu beschreibenden Reiz verliehen … Es mag unsinnig sein zu sagen, die Stadt war Musik, und doch empfinde ich es so noch heute.
Nicht lange nach unserer Niederlassung erhielt ich den Titel Mamanchic, der grundsätzlich den Coyas gebührte und nur in seltenen Ausnahmefällen einer jungen Frau verliehen wurde.
Überdies schenkte Manco
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