Die Favoritin
kam ich zu dem Schluß, daß wir in Mancos Stadt paradoxerweise in größerer Nähe zu den Spaniern gelebt hatten, da wir all ihr Tun und Treiben ja ausspionierten, als zu der alltäglichen Wirklichkeit, der das Volk ausgesetzt war.
»Unter dem Inka«, seufzte mein Vater, »verteilten die Beamten die Wolle, und wir webten sie. Jetzt sollen wir sie selber liefern. Aber woher nehmen bei der kleinen Herde, die unser Dorf besitzt …! Wir müssen also das wenige, das der Fremde uns von der Ernte läßt, drangeben, um uns Wolle zu beschaffen. Bald haben die Frauen keinen Mais mehr, die Chicha anzusetzen! Früher sorgte der Inka für den Fall einer Dürre oder eines Erdbebens vor, man lebte ruhig, jeder wußte, wir konnten nicht verhungern, wir konnten uns kleiden und hatten eine warme Decke. Heute lebt man, ohne zu wissen, ob man morgen noch leben kann.«
Und zu der Zeit, Pater Juan, verlangten Eure Landsleute noch nicht einmal alles, was sie uns seither aufgebürdet haben!
Jeden Morgen stieg ich zu der Grotte hinauf, wo Zara ruhte. Die Ayllu hatte sich von ihren kostbarsten Geweben getrennt, um sie zu schmücken. Natürlich fehlten die Edelsteine, die Geschmeide und goldenen Beigaben, mit denen man Fürstenkinder ehrt, aber meine Tochter hatte alles Wesentliche: einen in der Dämmerung gefangenen kleinen Vogel, der sie auf ihrer Reise in die Ewigkeit leiten würde, segenspendende Amulette, aus Körnern, Bändern und Federn gefertigt, die der Vater meines Vaters unter die drei wollenen Tücher und die Schilfmatte gelegt hatte, in die ihr zierlicher Körper gehüllt worden war, um sie in der Lage des Fötus zu erhalten, in der die Verstorbenen die Welt der Lebenden verlassen sollen.
Ich sprach zu ihr, stellte Leckereien vor die Grotte, gerösteten Mais, Bohnen, Honig, den wir aus Maisstengeln, bevor der Kolben reift, gewinnen. Es waren keine Früchte der heißen Zonen, Guaven oder Avocados, die Zara so gerne aß, aber ich tat, was ich konnte.
Den Anschein des Lebens zu erhalten, eine Verbindung zu den Wesen zu wahren, die wir geliebt haben, heißt für uns, Trennung und Tod zu verleugnen. Was ist daran verwerflich, sagt? Auch die Spanier schmücken ihre Gräber und reden im Gebet zu ihren Toten. Warum also ist man derart erpicht, unsere Bräuche abzuschaffen? Ihr werft uns unsere Amulette, unsere Opfergaben vor … Und Ihr? Wappnet Ihr Euch nicht mit Kreuzen, Skapulieren, Rosenkränzen? Ihr verbietet unsere Huacas, aber Ihr kniet vor den Bildern Christi, der Jungfrau und der Heiligen, Ihr errichtet sie noch in dem kleinsten Ort. Haben diese Bildwerke und unsere Huacas nicht denselben Sinn: uns zu beschützen, böse Geister von uns fernzuhalten, und drücken sie nicht dieselben Ängste aus? In wessen Namen macht man uns das Recht streitig, uns das Jenseits unserem Glauben gemäß zu erschließen? Was tätet Ihr, Pater Juan, wenn man Euch zwingen wollte, Eure Religion nur darum zu wechseln, weil man das Recht des Stärkeren auf seiner Seite hat? Allein der Gedanke widerstrebt Euch? Stellt Euch vor, was wir empfinden!
Hinter der Steinmauer, mit der die Grotte verschlossen war, dachte ich mir Zara, wie sie nun immer bleiben würde, unberührt von der Zeit, die das Fleisch zerfurcht und zersetzt, so, wie ich sie zum letzten Mal gesehen hatte … Der zarte Nacken vorgebeugt, das süße Kinn dicht an den Knien, die Ärmchen um die gefalteten Knie geschlungen, die Haare in zahlreichen hauchdünnen, glänzenden Flechten wie ein Netz aus schwarzen Perlen, das sich über ihre junge Lieblichkeit breitete. Die Zöpfe meiner kleinen Toten hatte ich selbst geflochten, Pater Juan, hundertachtzehn genau. Ich habe sie gezählt, meine Tränen nicht. Aber ich höre jetzt besser davon auf und rede von Villalcázar.
Jeder Besuch bei Zara schürte meinen Haß. Er vergiftete mein Blut, bereitete mir Herzklopfen und Ekel, mir drehte sich alles im Kopf.
Ungefähr einen Monat nach meiner Ankunft im Dorf, Ende Juni, hielt es mich nicht mehr, ich beschloß, nach Cuzco zu gehen.
Der Vater meines Vaters sagte: »Die Männer sind auf den Feldern, sie bringen die Kartoffelernte ein. Ich gehe mit dir.«
»Ich danke dir, Alter. Aber ich gehe lieber allein.«
Der Vater meines Vaters straffte seine in Fuchsfelle gehüllte hagere Gestalt, maß mich mit einem Blick, wie er mich als Kind in Schrecken versetzt hatte: »Eine Frau geht nicht allein auf den Straßen. Jede Ayllu, meine Tochter, wirft sich dir zu Füßen, aber mich beeindruckst du nicht.
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