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Die Feen - Hallmann, M: Feen

Die Feen - Hallmann, M: Feen

Titel: Die Feen - Hallmann, M: Feen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maike Hallmann
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vorbei, wo ihm aus dem vorletzten noch die alleinstehende Kaleigh O’Linnean hinterherschaute, die seit Wochen kränkelte und aus Langeweile den ganzen Tag am Fenster saß, auch wenn normalerweise draußen ebenso wenig passierte wie im Haus. Die ihm lange hinterhersah, einfach weil es nichts anderes zu sehen gab. Ein kleiner dicker Junge auf einem schmalen braunen Pferd, das sich im Hochland verlor. Nicht einmal eilig habe er gewirkt. Nur ein wenig geduckt, vermutlich der Kälte wegen. Sie habe sich einen Tee gemacht, als er ihrer Sicht entschwunden war, gab sie zu Protokoll, einen heißen Tee mit einem Schuss Whisky, weil ihr kalt geworden war bei der Vorstellung, jetzt durchs Hochland zu reiten, so kalt, dass sich der Schüttelfrost, der sie seit Tagen plagte, direkt verschlimmert habe.
    Falls es jemanden gab, der Felix noch nach ihr gesehen hatte, so trieb man ihn nicht auf. Gut möglich aber, dass es einfach niemanden gegeben hatte. Dass er weitergeritten war, ohne noch jemandem zu begegnen. Wenn er nicht schneller geritten war, sobald er außer Sichtweite des Dorfs gewesen war, dann musste er Stunden gebraucht haben. Vor Einbruch der Dunkelheit konnte er nicht bei der Schafweide gewesen sein, denn kurz zuvor hatte der Züchter seinen Tieren noch einen Besuch abgestattet, hatte zwei wollige Leiber betastet, in denen sich Lämmchen befanden, die in dieser kalten Jahreszeit zur Welt kommen würden, was ihm Sorgen bereitete. Schließlich hatte er eins der Schafe mitgenommen, weil es ihm schien, als könnte es diese Nacht so weit sein. Und da war noch keine Penelope auf der Weide gewesen. Die hätte er bemerkt.
    Also war Felix erst in der Dunkelheit angekommen. Hatte Penelope im Dunkeln abgesattelt, den Schuppen gefunden, das Sattelzeug hineingebracht und vorsichtig auf den Boden gelegt. Hatte den Schuppen wieder verschlossen und war dorthin gegangen, wo die Welt aufhörte und tief unten das Meer schäumte, wild und gleichgültig. Und dann ein Schritt. Der Aufprall. Vielleicht Bewusstlosigkeit, vielleicht Schmerz. Der endgültige Sturz nach unten. Vielleicht erneut Schmerz. Vielleicht auch schon nichts mehr.
    Ob er noch gespürt hatte, wie ihm Wasser in Mund und Nase drang und bis in die Lungen, wusste niemand zu sagen. Vielleicht würde man es wissen, wenn man ihn fand. Aller dings gab es an dieser Stelle mehrere Strömungen. Eine davon hatte ihn mitgenommen. Entweder die Küste hinunter, in östliche Richtung, oder aufs offene Meer hinaus. Und wenn er aufs offene Meer getrieben war, dann fand man ihn womöglich nie.
    Zu Bennys Verwunderung war es dieser letzte Schritt, den er sich nicht vorstellen konnte. Dabei hatte er selbst vor wenigen Monaten noch an der Steilküste gestanden, wenn auch an einer anderen Stelle und am hellen Tag, und die Verlockung gespürt, diesen Schritt zu tun. Diesen einen, so entscheidenden Schritt. Er hatte geglaubt, es sei knapp gewesen, ganz knapp. Hatte geglaubt, dass es nur ein winziger Hauch war, der ihn davon trennte, der ihn abhielt. Eine Entscheidung, die vielleicht mehr Gewohnheit war, weil man solche Dinge nicht tat. Weil man nicht vor U-Bahnen sprang oder vor Busse, weil man sich keine Autobahnbrücken hinunterstürzte, das Messer an der Pulsader nur ansetzte, aber natürlich nicht schnitt, weil man sich bisher immer, immer dagegen entschieden hatte, diesen einen, winzigen, entscheidenden und nicht umkehrbaren Schritt zu tun. Er hatte geglaubt, es sei nur eine Winzigkeit, eine Spur, kaum wirklich eine bewusste Entscheidung. Er hatte geglaubt, es sei ein kleiner Schritt und sozusagen immer erreichbar. Ein Ausweg, der im Notfall immer blieb. Der Tod ganz nah. Oder vielmehr: das Ende des Lebens. Der Tod war ihm egal. Nur: Wenn er nicht mehr mochte, eines Tages, dann würde er es beenden können. Jederzeit.
    Jetzt begriff er, dass es nicht so war. Dass in diesem kleinen Schritt mehr lag, als er geglaubt hatte. Dass ihn sehr viel mehr davon trennte als nur die bloße Entscheidung. Den Weg, den Felix genommen hatte, konnte er sich vorstellen: Auf der Stute sitzen, den Kopf gesenkt gegen den unerbittlichen Wind, die fürchterliche Schönheit des kargen Hochlands ringsum, die wehtat und zugleich eine wunderbare Kulisse bot für diese einsame, heroische Entscheidung. Die Stute mit einem letzten freundlichen Klaps auf die Weide zu den Schafen schicken. Sorgsam das Sattelzeug ablegen, das ihm nicht gehörte, damit es keinen Kratzer bekam. Rücksichtnahme bis zum Schluss, Gewohnheit, gute

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