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Die Feen - Hallmann, M: Feen

Die Feen - Hallmann, M: Feen

Titel: Die Feen - Hallmann, M: Feen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maike Hallmann
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Erziehung und Spott in einem, Fürsorge für etwas Bedeutungsloses, einen Sattel und einen Zaum. Dann eine schöne Stelle aussuchen. Dastehen, dem Wüten des Meers lauschen, den Duft nasser Felsen in der Nase, die Nacht im Rücken. In sich hineinhorchen, ob es Einwände gab. Keine finden. Und dann …
    Und da eben hörte es auf. Da kam er nicht weiter. Dieser Schritt. Der funktionierte nicht. Jetzt, wo Felix ihn wahrgemacht hatte, konnte Benny ihn sich nicht mehr vorstellen. Alles in ihm sträubte sich dagegen, bäumte sich auf. Er schob an seinem imaginären Ich herum, das an einer imaginären Steilküste stand, redete mit Engelszungen auf es ein, versuchte es sogar zu überrumpeln. Schubste es hinterhältig, zwang sich, diesen Schritt zu tun, zwang sich mit größter Sorgfalt und Hingabe dazu, es sich vorzustellen, aber selbst als er in seiner Fantasie dann endlich stürzte, blieb das Bild blass und nichtssagend. Er war nicht mit dem Herzen dabei. Er sprang nicht. Er wusste nicht, was es bedeutete und wie es gewesen sein mochte. Es war kein Hauch, der ihn trennte. Es war ein Bergmassiv, ein Gebirge, eine ganze Welt. Es war ihm unmöglich. Er selbst wäre nicht gesprungen.
    Die Gründe? Angst hatte er nicht, glaubte er. Er begriff nicht, weshalb ihm der Gedanke an den Tod, an Selbstmord, der lange so selbstverständlich gewesen war und wie ein Freund, der jederzeit zu Besuch kam, wenn man ihn rief, auf einmal so fremd geworden war. Es machte ihn verrückt. Er fühlte sich abgeschnitten von der Welt, mit dem Rücken zur Wand, ausgeliefert und verletzlich, als hätte man ihn seiner Kleidung beraubt, sogar seiner Haut, als würde er splitternackt zwischen allen anderen stehen.
    Drei Tage lang suchten sie. Dann gab man auf, rechnete aus, wo die Leiche angespült werden mochte, und benachrichtigte möglicherweise die Polizei hier und da, vielleicht auch nicht. Jedenfalls wurde die Suche eingestellt. Der Fall war klar. Der Brief war da, die Stute, das Sattelzeug, das Blut. Auch das Motiv. Ein labiler Schüler, die Eltern waren von der Schulleitung gewarnt worden, hatten aber nicht gehört. Der konsultierte Psychologe hatte sich geirrt. Das Trauma William Davenport hatte Früchte getragen in einer jungen Seele, die es nicht verkraftete. Felix von Hauenstein war tot. Die Schule summte. Der Unterricht fand weiter statt und floss an Benny vorbei, ebenso wie die Rede der Rutherford, die innig um Zusammenhalt in dieser schweren Zeit bat. Einige Schüler scheuten sich nicht zu weinen. Sandy Carter wirkte wie erstarrt. Elvis sprach terminatorgleich, pappecht, mit wohlgewählten, bedeutungsleeren Worten Benny sein Beileid für den Tod seines Schützlings aus.
    Benny wusste damit nichts anzufangen. Er litt nicht. Er war vollkommen neben der Spur, aber weniger wegen Felix, sondern weil er begriffen hatte, dass er nicht so leicht entkommen konnte, wenn er nur wollte. Dass das Totenreich nicht sein Zuhause war, dass er keine exklusive Verbindung nach drüben hatte, keinen Dauerfahrschein, keinen Zugang zu einer geheimen Expressverbindung, nur weil er auf der anderen Seite jemanden kannte. Dass er am Leben hing, was auch immer er davon halten mochte. Festgenagelt. Er litt nicht unter Felix’ Tod, sondern darunter, dass ihn dann ja doch alles irgendwie etwas anging, auch wenn es ihm im Augenblick noch bedeutungsloser erschien als zuvor. In schweißnassen, quälenden, traumverseuchten Nächten beneidete er Felix um das, was möglicherweise Mut war. Er wusste es nicht zu sagen. Auf jeden Fall war es Konsequenz. Konsequenz, die er nicht besaß. Er spürte sehr deutlich, dass er am Leben war und es bleiben wollte, aber er wusste nicht, weshalb. Es ergab keinen Sinn. Angesichts der Erkenntnis, am Leben zu hängen – oder vielmehr hing das Leben an ihm und war nicht so leicht abzuschütteln, wie er geglaubt hatte –, verblassten Gedanken an kleine Mädchen, die sich in Luft auflösten, und Kelpies.
    Mit klaren, gleichgültigen Augen beobachtete er den Tanz, den die anderen aufführten. Betroffenheit. Mitgefühl. Häme. Sensationsgier.
    Callahan verhielt sich sehr anständig, er war eine Zierde für die Menschheit, die sich ansonsten nicht besonders auszeichnete. Keine zur Schau getragenen großen Gefühle, nur weil man sie erwartete und haben sollte, aber ehrliche Betroffenheit, wenn auch nicht im Übermaß. Bedauern, aber keinerlei Bekundungen, was man alles getan hätte, wenn man nur gewusst hätte. Offene Ratlosigkeit. Selbst Oliver und

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