Die Feen - Hallmann, M: Feen
bog ab, und auf der anderen Seite gab es einen schmalen Weg, der zu einer niedrigen, schmalen Tür führte. Der Polizist von vorhin hätte sich seitlich hindurchschieben müssen, und selbst dann wäre er vermutlich stecken geblieben.
Im Haus, zumindest in der Diele, brannte kein Licht, das kleine Fenster in der Tür war dunkel.
Oliver klopfte mit der Faust gegen die Tür. In der nächsten Sekunde flammte Licht auf, und die Tür wurde aufgerissen. Erschrocken starrten sie einander an, die beiden überraschten Jungs und Gin im Hausmantel. Ihre Haare standen wie ein explodierter Wischmop zu allen Seiten ab und schimmerten rötlich im Gegenlicht.
»Können wir rein?«, fragte Oliver kläglich.
»Was macht ihr denn hier?«, fragte Gin rau. »Himmel. Was tut ihr ausgerechnet in einer solchen Nacht …« Sie schaute über Bennys Schulter, als erwarte sie, dort jemanden stehen zu sehen. »Seid ihr allein?«
»Ja.« Oliver nickte. »Bitte, Gin, können wir reinkommen? Wir müssen mit Leslie sprechen.«
»Reinkommen«, wiederholte sie stumpf. »Leslie. Leslie ist nicht da.«
»Was heißt das, sie ist nicht da?«
»Sie ist … sie schläft heute Nacht im Herrenhaus, glaube ich. Sie kommt und geht, wie sie will. Sie ist nicht da. Tut mir leid.« Ein rasches Blinzeln. »Kann ich ihr irgendwas ausrichten?«
»Du könntest uns reinlassen. Bitte.«
»Ich …«
»Ich gehe da nicht wieder raus. Und Benny erst recht nicht. Nicht, bevor es nicht hell wird.«
So dringlich war Olivers Stimme, dass Gin verstummte. Nachdenklich musterte sie die beiden. Endlich nickte sie. Widerstrebend, so schien es Benny, trat sie beiseite und ließ sie hinein. Fast hätte Oliver sie umgerannt, so eilig drängte er sich ins Haus.
Es war winzig. Eine kleine, vollgerümpelte Diele, eine Küche mit Kamin, einer Sitzecke und einem kleinen Sofa. Der Herd neben dem kleinen, durch Spitzenvorhänge, Blumen und Krimskrams blinzelnden Fenster sah uralt aus und war wuchtig wie ein sturer alter Arbeitsochse, der sich zwischen die Schränke gequetscht und den Sitzstreik beschlossen hatte. Nur zwei Türen gingen in weitere Räume ab, beziehungsweise musste eine davon, wenn sich Benny nicht irrte, nach draußen in den kleinen Hof führen. Immerhin war die Küche recht geräumig.
Ohne weitere Umstände schob Gin sie auf die Eckbank und setzte den unvermeidlichen Tee auf, ohne zu fragen, ob sie welchen wollten. Da saßen sie in ihren Jacken in der warmen Küche, und Benny war noch immer kalt. Und er hatte noch immer Durst. Grauenhaften Durst. Am liebsten hätte er sich mit aufgesperrtem Mund unter den aufgedrehten Wasserhahn gelegt.
»Danke«, sagte Oliver und verlagerte unbehaglich das Gewicht – er bekam die langen Beine kaum unter den niedrigen Tisch gefaltet. »Es hat sich nichts verändert!« Unruhig ließ er den Blick durch die Küche schweifen und lächelte, es war nur ein schwaches Echo seines gewöhnlichen Zähnefletschens.
»Es hat sich vieles geändert.« Sie knallte leere Tassen vor ihnen auf den Tisch. Ganz sauber kamen sie Benny nicht vor. »Was treibt ihr in einer solchen Nacht da draußen? Seid ihr verrückt geworden?«
Es dauerte einen Augenblick, bis ihnen einfiel, weshalb sie hier waren.
»Wir wollten Felix von Hauenstein suchen«, sagte Oliver.
Gin erstarrte. Nur ganz kurz, dann fing sie sich wieder. »Felix von was?«
»Du weißt genau, wen ich meine. Ich weiß, dass Leslie und er …«
»Dass Leslie und er was ?«, fragte sie scharf.
»Zeit miteinander verbringen«, vollendete er seinen Satz diplomatisch.
Aufmerksam schaute Gin ihn an, dann lachte sie trocken auf. »Zeit miteinander verbringen«, wiederholte sie. »Was Leslie tut oder lässt, geht dich nichts an.«
»Das weiß ich. Deshalb sind wir auch nicht hier. Hauenstein ist verschwunden. Er hat ein Pferd genommen und ist fortgeritten. Und jetzt suchen sie ihn überall. Und wir dachten, da Leslie ja offenbar mit ihm zu tun hat, dass sie … etwas weiß.«
»Etwas weiß«, echote Gin.
»Du musst nicht alles wiederholen, was ich sage«, versetzte Oliver ärgerlich. »Uns beiden ist doch klar, dass Leslie manchmal mehr weiß als andere, wenn es darum geht, was in Glenshee passiert, oder nicht?«
»Wissen wir das?«, fragte sie lauernd. Ihre Körperhaltung erinnerte an eine Katze, die auf einen Angriff gefasst war und nicht vorhatte, sich irgendwelche Frechheiten gefallen zu lassen. Als er nicht antwortete, nahm sie die Teekanne, kam zum Tisch und schenkte ihnen
Weitere Kostenlose Bücher