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Die Feen - Hallmann, M: Feen

Die Feen - Hallmann, M: Feen

Titel: Die Feen - Hallmann, M: Feen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maike Hallmann
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fast ein bisschen zu knapp, weil er so schlau gewesen war, die sechzig Pfund aus dem Brief seines Vaters zu verbrennen – und außerdem waren Ausflüge für ihn wegen Coopers Nase gestrichen. Und Laufschuhe konnte man sich schlecht von jemand anderem mitbringen lassen. Überrascht bemerkte Benny, dass er sich wirklich darüber ärgerte, Felix’ Tod oder die Begegnung mit irgendwelchen Ungeheuern aus dem See hin oder her, gute Laufschuhe waren ihm trotzdem wichtig.
    Inzwischen kannten seine Füße den Weg so gut, dass er kaum darauf achten musste. Kurz vor der Stelle, wo er und Oliver dem Ding begegnet waren, das Ausgeburt von Bennys überreizter Fantasie oder tatsächlich ein Kelpie gewesen sein mochte, gab es eine kleine Senke, an der man sich leicht etwas verstauchen konnte, ansonsten war die Straße gleichmäßig. An der Senke war er mit der Aufmerksamkeit bei seinen Füßen, dann spürte er, wie sich sein Herzschlag beschleunigte, unwillkürlich hielt er Ausschau nach etwas, das dem ausgedehnten Schwarz des Sees entstieg. Aber da war nichts. Da war nur Wind, der allgegenwärtige Wind, der durch die Gräser strich, die in der winterlichen Kälte allmählich immer mehr ausdünnten, dürr und strohig wurden und den Blick auf das undurchsichtige Wasser des Sees freigaben. Es schimmerte ölig und wenig verlockend. Es roch auch seltsam, fand er, aber möglicherweise bildete er es sich nur ein. Immer noch war es, als würde er neben sich stehen oder vielmehr neben sich selbst herlaufen, ein Beobachter, seltsam unbeteiligt. Selbst die Furcht, die in ihm aufstieg, kam ihm fremd vor, als wäre es das Herzklopfen von jemand anderem.
    Vor ihm wurde der Wolfshund langsamer. Benny beschleunigte, und das Tier tat es auch. Es wartete wirklich auf ihn. Die Luft war voller wirbelnder kleiner Winde, der vertraute Weg fremd, als wandle er in einer anderen Welt, einer Parallelwelt, die nur aussah wie die, die er kannte.
    Statt durchs Dorf lief der Hund direkt am See entlang, und Benny folgte ihm, ohne weiter darüber nachzudenken. Mit traumwandlerischer Sicherheit fanden seine Füße den Weg; es war angenehm, keinen Asphalt mehr unter den Sohlen zu haben, sondern festen Sand und Kies.
    Was tust du da eigentlich?, fragte er sich selbst, fand aber keine Antwort und suchte auch nicht ernsthaft danach. Es tat so gut, frei durchzuatmen, es tat so gut, nicht nachzudenken, nicht zu grübeln, dass er sich ganz seinem Rhythmus überließ. Lockere, ausgreifende Laufschritte, ein gleichmäßiger, leicht erhöhter Puls, der See zu seiner Rechten, die leere Dämmerung, als wäre er der letzte Mensch auf der Welt. Damit hätte er jetzt gut leben können – der letzte Mensch auf der Welt zu sein. Zurückzukehren nach Glen und festzustellen, dass sie alle fort waren.
    Er stellte es sich vor und dachte, dass er nicht einmal nachforschen würde, wo alle geblieben waren. Er würde in die Küche gehen, die er noch nie gesehen hatte, und dort nach etwas Essbarem suchen, nach dem Frühstück durch die Gänge streifen, vielleicht im Stall nachsehen, ob auch die Tiere verschwunden waren oder nur die Menschen. Und dann überlegen, wie er den Winter herumbrachte, allein. Am besten, er suchte sich eins der Häuser im Dorf aus, statt in der zugigen Burg zu bleiben. Vielleicht sogar Gins Haus. Im Frühling musste er dann schauen, ob er hierbleiben wollte oder weiterzog. Vermutlich würde er weiterziehen. Erst einmal in eine der großen, leeren Städte. War es klüger, es zu Fuß zu probieren – wie lange würde er brauchen? Oder sollte er sich an einem Auto versuchen? Oder gar einem Pferd? Egal. Jedenfalls brauchte er einen Vorrat Laufschuhe, und er wollte eine der leeren Städte sehen, deren Geschäftigkeit verschwunden war und eine Stille hinterlassen hatte, wie es sie draußen gar nicht geben konnte, nicht mit all den Gräsern und Bäumen und Wasserflächen und dem Wind. Hier in Glenshee und im umgebenden Hochland war es nicht sehr wichtig, ob es Menschen gab oder nicht, sie waren verzichtbar, ihr Fehlen fiel nicht besonders auf. In einer Stadt war das anders.
    Vor seinem Mund bildeten sich Atemwolken. Der Himmel klarte ganz auf, nur noch vereinzelt huschten verschämte, eilige Wolken über den Himmel, nur Fetzen, als schlichen sie sich hastig und verspätet nach Hause und hofften, dass niemand es bemerkte. Jetzt war er ganz im Rhythmus, ganz im Einklang. Bog um die Ecke und erkannte den Sandweg wieder, auf dem er das kleine Mädchen getroffen hatte,

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