Die Feen - Hallmann, M: Feen
Nessie von Loch Ness hierhergetaucht ist und mich fressen will?«
Der Hund schaute ihm ins Gesicht. Kurz hätte Benny schwören mögen, dass es im Gelb seiner Augen amüsiert funkelte.
»Du bist schon scheißgroß«, versicherte er dem Hund. »Echt scheißgroß. Hier – magst du das?« Mit einer Hand wühlte er einen Karamellriegel aus der Jackentasche, während die andere weiter den Hundekopf kraulte und an den langen Ohren zog. »Magst du das? Dürfen Hunde überhaupt Schokolade essen? Na, egal, ein bisschen was wird dich nicht umbringen. Magst du?« Hastig riss er das Papier auf.
Der Hund schnaufte, schnüffelte kurz an dem dargebotenen Riegel und wandte sich ab.
»Warte«, rief Benny, aber der Hund trabte davon und war nach wenigen ausgreifenden Schritten in der Dunkelheit verschwunden. Perplex starrte Benny hinterher. »Na, dann eben nicht«, murmelte er schließlich und biss selbst in den Riegel. Er schmeckte nach nichts und hatte die Konsistenz eines Gummistiefels.
Die Dunkelheit, die den Hund verschluckt hatte, schien heranzuschwappen wie Wasser. Zweifelnd schaute Benny den spärlich beleuchteten Weg entlang – kleine, blasse Lichtpfützen inmitten der Schwärze. Eigentlich war es schon ziemlich spät, und die Lust zu laufen hatte ihn auch verlassen. Glen sah viel einladender aus als je zuvor. Er wandte sich um und trottete zur Burg zurück, nicht langsam, aber auch nicht zu schnell. Keinesfalls so schnell, dass man auf die Idee hätte kommen können, dass er sich fürchtete.
Benny hatte keine Lust, jetzt in den Gemeinschaftsraum zu gehen und den anderen zu begegnen, also beschloss er, der Bibliothek noch einen Besuch abzustatten und ein wenig Spanisch zu lernen. Zwar fühlte er sich wie ein Streber, aber in der Bibliothek würde es angenehm still sein, und niemand würde ihn stören.
Miss Fish war an diesem Abend nicht da – offenbar lebte sie nicht, wie er ohne weiter darüber nachzudenken angenommen hatte, Tag und Nacht in der Bibliothek, und heute hatte ein älterer Schüler die Aufsicht übernommen. Benny suchte sich ein paar Lehrbücher zusammen und fand einen leeren Tisch mit zwei hohen Ohrensesseln. In einem davon kauerte er sich zusammen und schaute in eins der Bücher. Leute namens Miguel, Carmen und Mercedes gingen zum Einkaufen, unterhielten sich über den Kauf eines Autos oder darüber, wer am Abend was genau zum Essen mitbringen sollte. Nach einer Weile schlug er das Buch wieder zu und ein anderes auf. Dort waren Lückentexte auszufüllen. Mercedes und Inéz unterhielten sich über einen jungen Hund und kauften verschiedene Früchte. Benny erinnerte sich an die Empfehlung seines Französischlehrers: zu lernen, indem er Französisch sprach, statt zu viel in Bücher zu schauen. Vermutlich hielt Delacroix nicht viel von Lückentexten. Im Stillen stimmte ihm Benny zu. Was für ein Blödsinn – er war doch wohl nicht auf irgendeinem komischen schottischen Elite-Internat, um dort dieselben dämlichen Lückentexte auszufüllen wie zu Hause. Nein, da musste es andere Wege geben, an die Sache ranzugehen. Seufzend schlug er auch das zweite Buch zu und schaute sich um. Am Nebentisch saß ein schlaksiger Typ mit zum Pferdeschwanz zusammengefasstem hellblondem Haar und schrieb hochkonzentriert einen karierten Zettel nach dem anderen voll, ohne auch nur einen Blick in eins der Bücher auf dem Tisch zu werfen. Interessiert beobachtete Benny ihn eine Zeit lang. Ihm fiel auf, dass er bisher auf Glen noch niemanden gesehen hatte, der die Haare lang trug.
Nach einer Weile hob der andere den Kopf. Er war ein paar Jahre älter als Benny und musterte ihn nicht unfreundlich. »Kann ich was für dich tun?«
»Falls du zwei oder drei Zettel für mich hättest und mir vielleicht einen Stift ausleihen könntest, wäre das toll.«
»Klar.« Der Blonde riss einige Zettel von seinem Block und angelte einen neongelben Kugelschreiber aus seinem Rucksack. Benny stand auf, stiefelte hinüber und holte die Sachen ab. »Danke!«
»Kein Problem.« Der Ältere lächelte kurz und vertiefte sich wieder in seine Arbeit. Kurz betrachtete ihn Benny noch und fragte sich, ob lange Haare bei ihm eigentlich gut oder albern aussehen würden, dann beugte er sich über die karierten, leeren Papierbögen und fing an zu schreiben.
Hallo Erik,
bin einigermaßen gut angekommen. Schottland ist arschkalt, es regnet dauernd. Ist aber trotzdem schön, irgendwie. Die Burg würde dir gefallen. Ich bin noch nicht ganz sicher. Aber der
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