Die Feen - Hallmann, M: Feen
auch das schmale Gesicht und den hochmütigen Ausdruck seiner Augen. Sie mochte auch, wie er in seiner Schuluniform aussah, ernst und streng und ein wenig wie ein kleiner Junge, der sich verkleidet hatte.
Kurz bevor er das Haus erreichte, schaute er hoch und sah sie. Schon immer hatte er gespürt, wenn sie in der Nähe war. Sein Gesicht verdunkelte sich. Rasch schritt er weiter aus und verschwand aus ihrem Blickfeld.
Sie sauste nach unten und erwartete ihn am Fuß der Treppe. Auf seiner Schulter saß Zee, der sich mit dünnen Fingern im Stoff der Jacke festklammerte, und zischte sie feindselig an. Unwillig schubste Alasdair ihn hinunter, der Kobold landete auf dem Boden und trollte sich unter empörten Schimpftiraden. Schon immer hatte sich Leslie gefragt, weshalb sich Alasdair ausgerechnet diesen übellaunigen Kerl als Begleiter ausgesucht hatte. Zee war staubbraun von Kopf bis Fuß, klapperdürr und immer schlechter Laune – dass er sie nicht mochte, nahm sie nicht persönlich, Zee konnte niemanden leiden. Alasdair hatte einmal gescherzt, er sei an einem dieser Tage Gestalt geworden, an denen alles schiefging, an denen man morgens das kalte Wasser aufdrehte statt des heißen, sich am Frühstück verschluckte, beim Verlassen des Hauses den Schlüssel vergaß und die Türklinke abbrach und den ganzen Tag an etwas arbeitete, um am Abend festzustellen, dass man damit gestern hätte fertig sein müssen, weil man sich im Termin geirrt hatte. Er war das Gestalt gewordene Begreifen, dass nichts mehr klappen würde, und wenn man sich auf den Kopf stellte. Wenn er Zuhörer fand, referierte er endlos über die Sinnlosigkeit allen Strebens. Ein wirklich eigenartiger Begleiter ausgerechnet für Alasdair, aber ihr Bruder fand ihn amüsant.
»Warte«, sagte Leslie, als Alasdair mit knappem Nicken an ihr vorbeieilen wollte. »Ich muss mit dir reden!«
Er blieb stehen und musterte sie. In seinem Gesicht, das etwas zu lang war, um hübsch zu sein, spiegelte sich heraufziehender Ärger. »Geht es um Finley?«
»Nein. Nicht … direkt.«
»Ich habe zu tun.« Am Wochenende fuhr der Verwalter zu seiner Familie nach Hause, und Alasdair kam jeden Sonntag ins Herrenhaus, um die Unterlagen durchzusehen.
»Ich weiß. Ich habe schon alles vorbereitet. Alles bereitgelegt und sortiert. Alle Briefe geöffnet – oh, nicht gelesen – die Mails ausgedruckt, es ist alles fertig. Du sparst eine halbe Stunde. Schenk sie mir.«
Sein Blick war so kühl wie das Quellwasser, das hinter dem Haus in einen winzigen See sprudelte. Du bist so erwachsen geworden, dachte sie zärtlich. Erwachsen – nicht alt. Das war ein Unterschied, den nur Sterbliche kannten, den Feen war er fremd. Alasdair war so im Einklang mit seinem sterblichen Leib, war so sehr sein Körper, dass sie ihn manchmal im Schlaf beobachtet hatte, nur um zu sehen, wie sich die Brust hob und senkte, weil es war, als spreche er durch seinen Atem mit ihr.
Er betrachtete sie und fragte sich vermutlich, ob sie sich abschütteln lassen würde. Er kam zum richtigen Schluss und warf einen ungeduldigen Blick auf die Uhr. »Eine halbe Stunde. Küche?«
Sie nickte und folgte ihm, der schmalschultrig und hochgewachsen voranschritt. Es war schade, dass er so selten ritt, er hatte genau die richtige Figur dafür.
In der weitläufigen Küche spiegelte sich die alte Feuerstelle in den chromglänzenden Flächen der Einbauküche. Die beiden Herdgeister, die für Ordnung sorgten, seit Mariah Logan fort war, spiegelten sich gern stundenlang versonnen darin, wenn sonst nichts mehr zu tun war, bogen kichernd ihre langen Nasen und krummen Rücken und nahmen ganz absurde Posen ein. Leider mochten sie es nicht gern, wenn man ihnen dabei zuschaute.
Auf der Anrichte wartete der Tee, den sie frisch aufgebrüht hatte. Sie stellte die Kanne aus bemaltem Porzellan, zwei passende Tassen und die Zuckerdose auf ein Tablett und trug es zum Tisch. Er stand mitten im Raum wie ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten, ein wuchtiges Ungetüm aus nachgedunkelter Eiche. Leslie setzte sich und fuhr verstohlen mit dem Finger eine Messerkerbe nach, die sie oder Alasdair darin hinterlassen hatte. Es gab mehrere solcher Kerben, die sie dem Holz beigebracht hatten, alle mit großem Eifer und in voller Absicht, als hätten sie damals schon geahnt, dass es schwierig war, in dieser Welt bleibende Spuren zu hinterlassen. Dass sie nicht mehr wusste, welche Kerben von Alasdair stammten und welche sie selbst verbrochen hatte,
Weitere Kostenlose Bücher