Die Feen - Hallmann, M: Feen
erfüllte sie mit geheimer Freude, als wäre es eine Verbindung zwischen ihnen, die niemand auflösen konnte.
Alasdair schenkte sich selbst eine Tasse voll, ihr nicht. Es war lange her, dass das anders gewesen war. Ein Würfel Zucker, keine Milch. So trank er seinen Tee, seit er klein war. Sie schaute zu, wie er mit raschen Bewegungen umrührte, das Klirren des Löffels in der Tasse klang, als wollte es verkünden, dass er keine Zeit für ihren Unsinn hatte.
»Leg los.« Ungeduldig starrte er sie an.
Sie nickte und faltete die unruhigen Hände vor sich auf dem Tisch. »Ich war gestern am Tümpel. Dem mit der Weide, du weißt schon, die mit dem hellen Moos an der …«
»Fass dich kurz.«
»Ich habe eine halbe Stunde«, erinnerte sie ihn freundlich. »Die kann ich ja wohl so verwenden, wie ich will.«
Spöttisch musterte er sie. »Sechsundzwanzig Minuten sind es noch. Tick-tack. Aber gut.« Eine wegwerfende Handbewegung. »Mach damit, was du willst.«
»Die Weide mit dem hellen Moos an der Seite«, fuhr sie fort. »Dieses ganz zarte, grüne Gespinst, das man kaum unter den Fingern spürt, selbst wenn man es dazwischen zerreibt. Da, wo wir als Kinder gespielt haben. Erinnerst du dich?«
»Kann sein. Und?«
»Ich bin noch oft da. In der Weide lebt ein Baumgeist.«
»Das weiß ich.« Er stellte die Tasse ab und betrachtete sie mit zusammengekniffenen Augen. »Du stiehlst mir meine Zeit, um mir zu erzählen, was ich schon weiß?«
»Warst du in letzter Zeit mal da?«
»Seit Jahren nicht. Das weißt du.«
»Ja. Ja, ich weiß. Du solltest mal wieder hingehen. Der Baum stirbt.«
»Mag sein.« Er zuckte mit den Schultern. »Das ist der Lauf der Welt.«
»Der Baumgeist ist tot.«
»Tot.« Sein Lächeln war das des Vaters. Ein kurzes, verärgertes Lächeln, bei dem die Mundwinkel nach unten zuckten. Rede nicht solchen Unfug, sagte es viel deutlicher, als Worte es vermochten. »Fort, meinst du.«
»Nein.« Sie beugte sich vor. »Er ist tot. Er ist gestorben.«
Es war eindeutig, wie es ihn in den Beinen juckte, aufzuspringen und zu gehen. »Eine halbe Stunde«, erinnerte sie ihn sicherheitshalber, und er verzog das Gesicht. »Zweiundzwanzig Minuten. Hör zu, wenn der Baum stirbt, stirbt auch der Baumgeist. Das weißt du. Das ist sehr schade, und es tut mir leid, wenn du deshalb mit bewegenden Kindheitserinnerungen zu kämpfen hast, aber ich fürchte, da musst du durch. Sei ein tapferes Mädchen.«
Erinnerungen fielen sie an wie kleine, hungrige Tiere – Alasdair, der ihr hinterherstapfte, ihr ins Moor folgte und dabei unablässig schimpfte, es sei verboten und außerdem gefährlich. Sei ein tapferer Junge, hörte sie sich selbst spotten und fragte sich, ob sie sich ganz allein erinnerte oder ob er es auch tat.
»Ich war oft da.« Sie nagelte seinen Blick fest, und im Gegensatz zu den meisten anderen Menschen hielt er ihrem Blick mühelos stand, blinzelte nicht, wich nicht aus, ließ sich nicht verunsichern.
»Ich habe den Baumgeist altern sehen«, sagte sie so sachlich, wie sie es fertigbrachte. »Er ist klein geworden und grau, er hat sich immer langsamer bewegt, seine Stimme hat sich verändert. Dann, und erst dann, fing der Baum an zu sterben. Erst hat er nur ein paar Blätter verloren, dann sind die äußersten Äste abgestorben. Und jetzt lebt er noch. Er lebt, aber er stirbt. Weil der Baumgeist gestorben ist. Vor dem Baum, Alasdair. Nicht mit ihm gemeinsam.«
Aufmerksam studierte er ihr Gesicht. Sie erwartete, dass er jede Sekunde sagte, sie habe nicht richtig hingeschaut oder sich einfach geirrt, aber er schwieg. Ganze Minuten ihrer Zeit verschwieg er, ohne sich zu rühren. Endlich tat sich etwas in seinem Gesicht. Er lehnte sich zurück. »Ich weiß.«
»Du … weißt? Du hast doch gesagt …«
»Ich wusste nichts von diesem einen speziellen Baumgeist. Aber dass etwas geschieht, weiß ich auch. Dass vereinzelt kleinere Geister und Nymphen … sterben, wenn du es so nennen willst. Was soll ich dazu denn sagen?«
Ungläubig starrte sie ihn an. »Dass … dass das nicht so gehört?«, schlug sie vor. »Du weißt doch ebenso gut wie ich, dass sie nicht sterben! Dass sie nicht altern! Sie vergehen , ja, aber sie … sie sterben nicht! Das weißt du doch!«
Er beugte sich vor und legte beide Hände um die Teetasse. »Du hast Recht. Ja, es ist unnatürlich. Es ist sogar besorgniserregend.«
Mit beiden Händen klammerte sie sich am Tisch fest, atemlos, und wartete.
»Es gibt eine ganz einfache
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