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Die Feen - Hallmann, M: Feen

Die Feen - Hallmann, M: Feen

Titel: Die Feen - Hallmann, M: Feen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maike Hallmann
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hauche das Tal ihn spöttisch an. Zu gern wäre er zu Hause gewesen, und zu gern wäre er tapfer gewesen, aber er war beides nicht, und er fürchtete sich so sehr, dass er fast wünschte, er könnte einfach aufhören zu atmen.

19 Besuch im Herrenhaus
    19 BESUCH IM HERRENHAUS
    D er nächste Tag brach mit klarem Licht und Kälte über Glenshee herein. Leslie streunte den Vormittag über im Moor umher und schaute später bei den Rindern des alten Conway vorbei. Sie grasten auf der großen Weide am See und sahen lustig aus mit den roten Bändern an ihren Schwänzen. Tagsüber mischte sich der Kelpie nie unter sie, er konnte Tageslicht nicht leiden, aber sie fand ein paar Hufabdrücke am Ufer und vermutete, dass er in der Nacht dagewesen war. Sie klopfte der alten Mabel den Hals, zupfte ihr ein paar Kletten und Gräser aus dem Fell und rieb Linus, dem Stier, die wollige Stirn, was er mit wohligem Grunzen quittierte. Auf dem See tanzten ein paar letzte verirrte Mücken herum und eine Handvoll kleiner Windgeister. Ihre winzigen Gesichter verzerrten sich zu immer neuen bizarren, durchscheinenden Grimassen, manche davon erinnerten an die Gesichter von Menschen, andere eher an die Schädel heulender Wölfe. Leslie setzte sich ans Ufer und schaute ihnen zu, während hinter ihr die Rinder lautstark zähes Hochlandgras zwischen den Zähnen zermalmten.
    Die Windgeister beachteten sie nicht. Leslies Brust wurde weit und füllte sich mit ein wenig zerbrechlichem Frieden. Die Mücken würden bald sterben, sie hatten ihre Eier gelegt, und im nächsten Frühjahr würden neue schlüpfen. Die Windgeister hingegen würden so lange bleiben, wie sie wollten. Der eine zerstob vielleicht im nächsten Augenblick, während ein anderer noch hundert Jahre und länger durch das Tal sausen würde oder vielleicht nur über den See, oder er würde sich davontragen lassen, um über das Hochland zum Meer zu gelangen. Die meisten Windgeister jedoch waren flüchtige Erscheinungen, viel flüchtiger noch als Mücken.
    Leslie streckte eine Hand aus, als könne sie die kleinen Wesen berühren. Schloss die Augen und spürte dem Echo der Wehmut nach, die der Anblick der spielenden Geister in ihr weckte. Deutlich spürte sie ihren Körper, dieses Gebilde aus Fleisch, Blut und Knochen, das sie an die Zeit band. Sie spürte, wie er alterte. Wie er sie womöglich über ihre Zeit hinwegtragen würde, falls sie früher müde wurde als er. Wie er sie mitreißen würde, wenn ihm etwas zustieß, ob sie zum Gehen bereit war oder nicht.
    Behutsam strich sie mit den Händen über ihre bloßen Arme. Kälte machte ihr nichts aus. Die Haut war glatt und weich und fast so warm wie die Haut der Kühe, wenn man unter dem dichten Fell danach tastete. Sie spürte ihren Herzschlag, der Blut durch das feine System der Adern trieb. Und sie fragte sich, ob sie sich auch dann so seltsam alt fühlen würde, wenn sie keinen Körper gehabt hätte. Ob das Alter in ihrer Seele saß oder in Knochen, Muskeln und Sehnen. Sie wusste es nicht. Beides war nicht voneinander zu unterscheiden, Körper und Seele vereinte sich zu einem untrennbaren Ding, das man in Ermangelung eines besseren Wortes Ich nannte und das tagein, tagaus denselben Namen trug, obwohl es sich ständig veränderte. »Ich«, sagte sie in den Wind. »Ich, Leslie MacGregor.«
    Einer der Windgeister hörte es, kam näher und lauerte darauf, dass sie erneut sprach.
    »Ich, Leslie MacGregor«, tat sie ihm den Gefallen.
    Jubelnd stürzte er sich auf die Worte, riss sie ihr von den Lippen und sauste mit seiner Beute davon. Sie schaute ihm hinterher. Ich, Leslie MacGregor, wisperte es über die dunkle Oberfläche des Loch Dall.
    Einer der Windgeister kicherte wild und verwehte im nächsten Augenblick. Die Übrigen scherten sich nicht um sein Verschwinden. Sie stritten um das schwindende Echo der Worte, bis nichts mehr davon übrig war, und suchten sich dann ein neues Spiel.
    Aus dem Fenster des Eckzimmers beobachtete sie, wie Alasdair den Weg zum Herrenhaus heraufkam. Ihr eigenes Zimmer lag nach hinten zum Garten und war ein gutes Stück größer, aber das Eckzimmer hatte sie immer am liebsten gemocht. Es war fast wie ein kleines Turmzimmer, die Fenster waren schmal und bestanden aus kleinen, mit Blei eingefassten Scheibchen. Die Bleieinfassung zerschnitt Alasdair in lauter kleine Stücke, runde Ausschnitte, eckige Ausschnitte, lange Streifen. Sie mochte es, wie er sich bewegte, mochte die langen Beine und die weiten Schritte, mochte

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