Die Feenflöte
Herzen in den Text hinüber geflossen, machte sich Ernüchterung breit. Wahrscheinlich würde er sich in ein paar Tagen kaum noch an sie erinnern. Er war ständig unterwegs, absolvierte eine anstrengende Tournee, traf täglich neue Menschen. Warum sollte er anrufen?
Als das Telefon kurz vor Mitternacht läutete und sie aus dem ersten Schlummer weckte, konnte sie es kaum glauben, als sie Seans Stimme am anderen Ende hörte.
"Und dann hat er dich jeden Abend angerufen?" fragte Arlette.
"Nein, das nicht."
"Aber er hat sein Versprechen gehalten."
"Darüber war ich wirklich erstaunt. Er hat sich oft gemeldet. Manchmal nur kurz, mal früh morgens, mal spät abends. Das waren unsere besten Gespräche..."
Catherine's Blick ging in eine imaginäre Ferne.
"Ihr habt euch über Persönliches unterhalten?" wollte Arlette wissen.
"Na klar. Was man sich halt so alles erzählt, wenn man jemanden kennenlernt."
"Dann weißt du also jetzt sehr viel über ihn?"
"Würde ich nicht sagen. In einigen Bereichen schon, in vielen anderen wahrscheinlich überhaupt nicht. Außerdem ist er durchaus exzentrisch, ein Künstler eben, und sicher nicht immer ganz einfach."
"Könntest du einen weiteren Artikel über ihn schreiben? Einen noch persönlicheren?"
War es das, worum es hier ging? Sollte ihre Bekanntschaft mit Sean journalistisch ausgeschlachtet werden? Catherine fühlte sich verunsichert. Unwillkürlich schüttelte sie den Kopf.
"Warum nicht?"
"Weil mir mittlerweile die professionelle Distanz fehlt. Außerdem," fuhr Catherine fort und ging in die Offensive, "ist es für mich undenkbar, Wissen um wirklich Privates oder sehr Persönliches eines Menschen für die Zeitung auszunutzen. Ab einem gewissen Punkt empfinde ich so etwas als Vertrauensbruch. Für mich wäre das hier der Fall."
Arlette schüttelte den Kopf.
"Entschuldige, Catherine. Ich glaube, du hast mich mißverstanden. Du weißt sehr gut, daß das nicht der Stil von
L'Art et la Vie
ist. Dein Bericht in der letzten Ausgabe hat sehr viel positive Resonanz gehabt. Bei unseren Lesern und bei den Feuilletonisten. Deshalb hätte ich mir einen weiteren Artikel gut vorstellen können. Auf gar keinen Fall möchte ich persönliche Informationen mißbrauchen."
Catherine fühlte sich beruhigt. Die Vorspeise wurde serviert und nahm beider Aufmerksamkeit eine Weile in Anspruch.
"Es gibt drei Dinge, über die ich mit dir sprechen wollte, Catherine."
"Schieß' los, ich hab' mir schon den Kopf zerbrochen, was der Grund für unser Abendessen sein mag."
"Also erstens geht es um einen Artikel. Den brauche ich für die nächste Ausgabe, also übermorgen. Du fährst morgen auf den Landsitz der Familie Lanourdie, wo am übernächsten Wochenende eine Auktion stattfinden wird. Unsere Ausgabe erscheint idealerweise drei Tage davor, sodaß interessierte Leser optimal informiert und vorbereitet sind. Außerdem bringt das den Lanourdies vielleicht etwas mehr Gewinn, und das wäre ganz im Sinne von Monsieur Cachet."
"Unser Monsieur Cachet, vom Verlag?"
"Genau der. Du weißt ja, wie das ist, wenn solche Familien einander kennen und bei Gelegenheit unter die Arme greifen."
Arlette übergab einen Brief an Catherine.
"Das wird dir Zutritt zu dem Anwesen verschaffen. Es werden sicher viele Leute kommen, um in den nächsten Tagen die Objekte zu begutachten. Niemand außer dir wird aber Fotos machen und einen Artikel schreiben dürfen."
Arlette sah Catherine forschend an.
"Warum siehst du so merkwürdig drein? Paßt es dir nicht?"
"Nein, es hat nichts mit dem Auftrag zu tun. Es ist wegen Sean. Er kommt morgen aus Straßburg, seine Tournee in Frankreich geht zu Ende."
"Und? Seht ihr euch wieder?"
"Das ist es ja. Wir wollten uns morgen sehen!"
"Dann nimm' ihn doch mit. Ich denke, das wird ihn sogar interessieren."
"Mag sein, aber so am Ende einer Tournee... Er ist ziemlich fertig, weißt du."
"Frag' ihn erst mal. Es würde doch gut passen. Außerdem bringt mich das auf den zweiten Punkt. Also, damit das klar ist: du sollst nichts über ihn schreiben, was du nicht für okay hältst! Wie wär's mit einem Bericht über seine Tournee, sein letztes Konzert in Paris?"
Catherine zögerte.
"Unsere Begegnung sollte diesmal rein privat sein, Arlette. Ich weiß nicht, ob und wann ich ihn wiedersehe. Bisher haben wir es beide vermieden, über die Zeit nach seiner Tournee zu sprechen. Auf keinen Fall möchte ich mir diese Begegnung entgehen lassen oder verderben."
"Das verstehe ich. Ihr scheint euch
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