Die Feenflöte
bei den Texten im Buch um einen uralten, dem gälischen verwandten Dialekt, der jedoch selten vorkommt und deswegen relativ wenig erforscht wurde. Allerdings gebe es ein altes Buch in der Britischen Nationalbibliothek, verfaßt am Ende des 18. Jahrhunderts, das sich mit damit beschäftigen würde. Auf seine Empfehlung hin habe ich mich hier mit einem Doktor Kennelly in Verbindung gesetzt, und der war so entgegenkommend, mir Einsicht in dieses Buch zu gewähren. Zum Glück sagte ihm mein Name etwas, und so hat er mir meine Geschichte geglaubt, von wegen Musik und Lieder des 18. Jahrhunderts, für die ich mich interessieren würde. Ich konnte also gestern und heute ausgiebig beide Bücher studieren. Das bißchen Gälisch, das mein Großvater mir noch beigebracht hat, war eine Hilfe. Natürlich konnte ich in dieser knappen Zeit nicht allzu viel übersetzen. Es sind nur Bruchstücke, manche Ausdrücke und Formulierungen sind vollkommen fremd und unverständlich. Das Wenige aus den Texten, was ich verstanden habe, war jedoch eine große Hilfe und hat mir auf einen Schlag einen viel tieferen Einblick in die Struktur der Feenmusik ermöglicht."
"Und das hat es dir ermöglicht, so zu spielen, wie du es getan hast?"
Sean nickte.
"Das ist ja phantastisch! Stell' dir doch mal vor, welche Möglichkeiten sich für dich eröffnen. Wenn du dir die Zeit nimmst und nach und nach mehr verstehst, mehr von den Texten übersetzt, das wäre doch..."
Sean schüttelte heftig mit dem Kopf.
"Das wird wahrscheinlich nicht gehen. Vor allem wäre es nicht gut."
"Nicht gut?" fragte Catherine erstaunt.
"Wir halten das Geheimnis der Feenmusik in Händen. Es enthält ein unvorstellbares Potential. Natürlich würde ich nichts lieber tun, als es vollkommen zu verstehen. Leider gibt es da noch die andere Seite der Medaille."
"Was meinst du?"
"Mißbrauch."
"Mißbrauch? Wie soll das gehen?"
"Sieh' mal, du hast bestimmt schon von vielen Entdeckungen oder Erfindungen gehört, die mißbraucht wurden. Oder die man sowohl für gute wie für schlechte Zwecke verwenden kann. Denk nur an die Gentechnik."
"Sollte man denn deswegen alle guten Erfindungen verbieten?"
"Die Frage ist berechtigt, und man kann sicher heiße Diskussionen darüber führen. Da ist aber noch etwas, was mir eine Entscheidung leicht macht. Am Ende des Buches ist ein Text, den wir bislang nicht weiter beachtet haben. Konnten wir ja auch nicht. So weit ich ihn verstehe, handelt es sich um so etwas wie ein Dekret oder eine Art amtliche Verfügung, vielleicht sogar von einem Feenkönig selbst angeordnet. Das Buch, und damit dieses unglaubliche Potential der Musik, soll sicher verwahrt werden in der Feenbibliothek, es soll nur auf allerhöchste Erlaubnis hin zugänglich gemacht werden, um genau den Mißbrauch zu vermeiden, von dem ich sprach. Mehr noch, irgendwo in diesem Buch verbirgt sich allem Anschein nach ein Weg, wie man sich Zutritt in die Welt der Feen verschaffen kann. Jedenfalls, wenn ich das richtig übersetzt habe. Diese Anordnung diente dem Schutz der Feen und ihrer Welt, und ich werde das Gefühl nicht los, es war ihnen verdammt ernst damit! Last not least: du kennst die beiden dunkelgrauen Seiten am Ende des Buches, die mit den unheimlichen Symbolen. Ohne es beweisen zu können bin ich ganz sicher, daß es sich dabei um den entgegengesetzten Pol handelt, um ein Potential, das ebenso zerstörerisch oder gar tödlich ist, wie das andere wundervoll und schön."
"Das heißt, du wirst das Buch und seine Möglichkeiten nicht nutzen oder gar veröffentlichen, sondern gut verstecken."
"Das war meine erste Absicht. Wie du weißt, stehe ich in der Schuld der Feen. Genau genommen habe ich da eine Menge gut zu machen. Deshalb habe ich eine Entscheidung getroffen."
"Welche?" fragte Catherine mit bangem Unterton.
Sean lächelte sie an.
"Mit Sicherheit hat das Spielen der Feenmusik seine eigenen Auswirkungen auf den Musiker. Oder glaubst du, ich könne mein Herz verschließen, wenn ich so etwas spiele?"
"Ganz sicher nicht!"
"Eben."
"Was hat das mit deiner Entscheidung zu tun?"
"Ich muß Klarheit schaffen, Ehrlichkeit, ich muß und will diese alte Bürde loswerden, und ich will mich für das ursprüngliche Geschenk der Feen, nämlich mein Talent als Flötist, erkenntlich zeigen. Obendrein bin ich dankbar für die Einblicke, dir mir dieses Buch gewährt hat. Den Feen war es offenkundig äußerst wichtig und wertvoll. Deshalb gibt es für mich nur einen Ort, an den es gehört,
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