Die Feenflöte
Unbehagen beobachtete van Loenhout, wie sich die beiden Männer ohne ein Wort daran machten, den Inhalt der Behälter zu überprüfen. Während sie hantierten, erhaschte er einen kurzen Blick auf die Schußwaffen, die sie reichlich ungeniert trugen. Jean-Pierres "Mitarbeiter" waren stets von der harten Sorte. Mit ihnen war ebenso wenig zu spaßen wie mit Jean-Pierre selbst. Er hatte Angst vor Gewalt, und sein Gefängnisaufenthalt hatte ihn gelehrt, diese Gattung noch mehr zu fürchten.
Die Männer trugen die Behälter nach draußen und verstauten sie in ihrem Lieferwagen. Dabei verständigten sie sich meist durch Gesten oder kurze, unverständliche Worte. Als sie fertig waren, standen die Behälter gut versteckt hinter und zwischen allerlei Gerümpel und dreckigen Abfalltonnen. Van Loenhout verzog das Gesicht. Der junge Mann setzte erneut sein hämisches Grinsen auf.
"Keine Bange, Mann! Alles nur Tarnung. Den Bildern passiert schon nichts."
Der Mann griff abrupt in seine Lederjacke, genau auf der Seite, wo er die Waffe trug. Van Loenhouts Herz setzte einen Schlag aus, sein Magen machte Anstalten, sich umzustülpen. Erschreckt starrte er auf den braunen Umschlag, den der Bursche ihm hinstreckte. Er konnte das Zittern nicht unterdrücken, als er ihn nahm und vermied es, dem anderen dabei in die Augen zu sehen.
Er zählte oberflächlich nach. Die Summe schien zu stimmen. Doch selbst wenn es zu wenig gewesen wäre, er hätte sich jetzt nicht getraut, zu protestieren. Als der Lieferwagen den Hof verlassen hatte, schloß er die Tür sorgfältig hinter sich zu.
Allmählich gewann er seine Fassung wieder zurück. Diesmal zählte er die Geldscheine in Ruhe nach.
"Stimmt genau," dachte er sich, "Jean-Pierre hat bisher immer exakt gezahlt. Wahrscheinlich verhökert er die Gemälde irgendwelchen Neureichen an der Cote d'Azur oder in Monaco für die zehnfache Summe. Oder macht andere Geschäfte damit..."
Das unerwartete Klingeln des Telefons ließ ihn zusammenfahren.
"Hallo?"
"Van Loenhout?!"
Er kannte diese schroffe Stimme. Jean-Pierre persönlich.
"Ja ."
"Sind meine Leute auf dem Weg?"
"Vor höchstens einer Viertelstunde abgefahren. Sie können also morgen früh wie geplant..."
"Das weiß ich," fiel ihm Jean-Pierre unwirsch ins Wort.
"Ich verlasse mich darauf, daß du mir wirklich die Originale lieferst. Wenn nicht..."
Diese unvollendete Drohung aus Jean-Pierres Mund ließ van Loenhouts Magen aufs Neue eine abrupte Bewegung ausführen.
"Wir machen nicht zum ersten Mal ein Geschäft miteinander. War jemals etwas nicht zu ihrer Zufriedenheit?" versuchte er, ihn zu besänftigen. Jean-Pierre ging nicht darauf ein.
"Hat der Spediteur die Kopien für England abgeholt?"
"Gestern, genau nach Plan. Übermorgen reise ich nach London und übernehme die Verteilung der Objekte an die Kunden."
"Was ist mit dem Delacroix?"
"Der schwimmt gerade auf dem Atlantik."
"Gut, ich informiere New York. Und du glaubst ernsthaft, dein Kunde kommt ein paar Tage später nach London und überreicht dir ein Bündel Geld?"
Van Loenhout mußte unwillkürlich grinsen.
"Da bin ich ganz sicher. Würde er es nicht tun, würde ein klitzekleiner Hinweis auf eine bestimmte Information an die Steuerfahndung genügen. Wahrscheinlich würde er freiwillig noch was drauflegen..."
Jean-Pierres unartikuliertes Brummen mochte durchaus Anerkennung ausdrücken.
"Dann ist ja alles klar. Salut."
"Salut Jean-Pierre," antwortete van Loenhout noch, doch der legte bereits im gleichen Augenblick abrupt auf.
Sean stand vor dem Fenster des Hotelzimmers und spielte. Weder das typisch trübe Londoner Wetter, noch die einsetzende Dämmerung nahm er bewußt wahr. Vollkommen eins mit seiner Flöte und der Musik war er versunken in sein Spiel. Nichts auf der Welt konnte er besser als dies, nichts nahm ihn je mit der gleichen Intensität gefangen und vermittelte ihm ein derart beseeligendes Glücksgefühl. Doch niemals zuvor in seinem Leben war dieser Zustand so vollkommen gewesen wie hier und jetzt, wo sich ihm eine neue Dimension der Musik erschlossen und sein meisterliches Spiel auf der Feenflöte zur Vollendung gebracht hatte.
Catherine hörte ihn spielen, als sie vor der Zimmertür stand. So geräuschlos wie möglich trat sie ein, um ihn nicht zu stören. Sie setzte ihre Tasche ab und ließ den Mantel zu Boden gleiten. Sie selbst setzte sich mit gekreuzten Beinen auf den Teppich daneben und lauschte ergriffen Seans Spiel. Nach und nach tauchten Bilder vor
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