Die fernen Tage der Liebe
für dich, Wayne, du hinterhältiger Scheißkerl. Bück dich mal.
Und dann Stephanie. Ahh, Stephanie! Wie sehr Mike sich wünschte, dass sie jetzt in diesem Moment vor ihm stünde. Was er dann
sagen würde! Was er dann machen würde!
Aber was würde er eigentlich machen? Ihr Kontra geben? Sie schlagen? Oder würde er sich so ähnlich verhalten wie bei Colleen,
als die ihn nach Stephanies Besuch zur Rede gestellt hatte. Unter Tränen, aber gefasst, im Interesse der Kinder.
Er hatte zugehört. Er hatte genickt. Und innerhalb eine Stunde war er verschwunden.
Er beschloss, seine Sachen gar nicht erst auszupacken, sondern sie auf dem Aluminium-Gepäckständer neben der Kommode stehen
zu lassen. Die beiden letzten Tage hatte er sich morgens aus dem Koffer frische Sachen genommen und ihn anschließend wieder
zugemacht, als würde er noch am selben Tag auschecken. Er musste lächeln bei der Vorstellung, wie er wieder nach Hause kam
und Ty ins Schlafzimmer rief, damit der ihm beim Auspacken zusah.
Ich hab dir doch versprochen, dass ich wiederkomme,
würde er zu seinem Sohn sagen.
Ich hab dir doch gesagt, du brauchst nicht so traurig und enttäuscht aus der Wäsche zu schauen.
Mike goss sich in den Plastikbecher nach. Jack Daniels.
»Warum eigentlich Jack Daniels?«, fragte er laut. Seine Stimme prallte von den Wänden zu ihm zurück wie ein gedämpftes Echo.
Von jetzt an würde er Jameson trinken. Oder Jim Beam. Wenigstens noch amerikanisch trinken. Mike setzte sich in den Sessel,
nippte an seinem Drink und glotzte in den Fernseher.
Mit dem Jack Daniels hatte es angefangen, nachdem er ein paar Monate lang jeden Abend einen Sechserpack weggeputzt hatte.
Irgendwann hatte Bier dem Alten wohl nicht mehr gereicht. Mike brauchte eine Weile, bis er die Veränderung bemerkte, denn
nachdem seine Mutter gestorben war und sein Vater angefangen hatte zu trinken, hatte er seine Methoden vervollkommnet, sich
fernzuhalten von zu Hause und der bleiernen Stille, die sich auf dieses Heim ebenso gelegt zu haben schien wie der Deckel
auf den Sarg seiner Mutter. Es war sein Abschlussjahr in der Highschool. Nach dem Football- oder Basketballtraining holte
er sich gemeinsam mit einem Kumpel irgendwo etwas zu essen, danach ging es weiter zum Haus von Angela Monroe, um zu »ler nen «.
Nachhilfe.
Die Monroes hatten den Keller teilweise ausgebaut,was für Mikes und Angelas Lernanstrengungen geradezu perfekt war. Mrs. Monroe ließ die Kellertür offen und kümmerte sich dann
um ihre Angelegenheiten. Mike spürte, dass sie ihn nicht mochte. Aber man konnte ja schlecht der eigenen Tochter verbieten,
sich mit einem Klassenkameraden zu treffen, dem gerade die Mutter gestorben war. Und ebenso schlecht konnte man sich als Siebzehnjähriger
dagegen sperren, seine Tage mit einem Mädchen zu verbringen, die man zwar kaum kannte und die einem bislang noch nicht einmal
groß aufgefallen war, weil sie sich nie bei irgendwelchen Spielen oder Tanzveranstaltungen blicken ließ, die aber zum Totengedächtnis
der Mutter gekommen war und einem jetzt sagte, dass sie immer für einen da sein werde.
Später erfuhr er, dass Angelas Vater und ihre Mutter sich hatten scheiden lassen. Gerüchten zufolge hatte der Vater seine
Frau sozusagen verlassen. Etwas mit einer Sekretärin. Weil das Geld knapp war, arbeitete Angela nach der Schule. Mike stellte
das eines Abends fest, als er noch in einen Drugstore ging und sie dort stehen sah, hinter der Theke. Er dankte ihr dafür,
dass sie zum Totengedächtnis seiner Mutter gekommen war. Und sie sagte, sie wisse, wie es sei, wenn man ein Elternteil verlor.
Mike nickte, aber insgeheim dachte er, dass sie keinen blassen Schimmer hatte, wie es war, wenn man ein Elternteil verlor.
Gut, bei Angela war der Vater von zu Hause abgehauen. Aber der lebte immerhin noch. Mikes Mutter war tot. Großer Unterschied.
Gerade wollte er den zur Sprache bringen, als sie sagte, wenn er je darüber … also … reden wolle, sei sie gern für ihn da.
Mike kriegte auf der Stelle einen Steifen. Er malte sich das teilnahmsvolle Treffen aus. Er würde ihr sein Herz ausschütten.
Sie würde mitfühlend nicken und seine Hände einfühlsam zwischen die ihren nehmen. Er würde den Kopf hängen lassen, sie würde
ihre Schulter darbieten. Mike würde sagen, dass er sie umarmenwolle, einfach nur umarmen, aber im Sitzen sei das so unbequem. Sie würden zur Couch gehen.
Und dann würde die Nachhilfe
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