Die Festung der Perle
all unserer Weisheit und hat schon viel mehr gelernt, als je in meinen armen Kopf hineingehen würde.«
»Ihr Wissen und ihre Intelligenz sind ebenso atemberaubend wie ihre Schönheit und Liebenswürdigkeit«, sagte Alnac Kreb, der sich über das, was die Quarzhasaater Varadia angetan hatten, noch nicht beruhigen konnte. »Wenn du sie gekannt hättest, Elric …« Er brach ab, da ihm die Stimme versagte.
»Ich glaube, wir alle brauchen jetzt erst einmal Ruhe«, erklärte der Älteste der Bauradim. »Ihr seid unsere Gäste. Morgen werde ich euch zum Bronzezelt führen. Dann könnt ihr meine schlafende Tochter sehen. Hoffentlich findet ihr mit all eurem Wissen eine Möglichkeit, sie mit wachem Verstand zurück in dieses Reich zu bringen.«
Diese Nacht schlief Elric in dem Luxus, der nur im Zelt eines reichen Nomaden zu finden ist. Wieder träumte der Prinz von Cymoril. Sein schurkischer Vetter Yyrkoon hatte sie mit Drogen betäubt. Elric hatte das Gefühl, dicht neben ihr zu schlafen, als seien sie eins. So hatte er immer gefühlt, wenn sie zusammen gelegen hatten. Doch dann sah er die würdige Gestalt Raik Na Seems über sich stehen. Er wußte genau, daß dies sein Vater war, nicht jener neurotische Tyrann, der durch seine Kindheit geisterte. Nein, dieser Bauradi war sein wahrer Vorfahre. Jetzt verstand Elric, warum er so von den Fragen der Gerechtigkeit und Moral besessen war. Ein Gefühl des Friedens überkam ihn, doch auch ein neues, ihm unbekanntes Gefühl der Verwirrung. Als er am Morgen erwachte, erklärte er sich das Gefühl der Verwirrung mit seinem Verlangen nach dem Elixier, das ihm Leben und zugleich Tod brachte. Er holte die Silberflasche heraus und nahm einen kleinen Schluck. Dann stand er auf, wusch sich und gesellte sich zu Alnac und Raik Na Seem, um zu frühstücken.
Nach dem Morgenmahl ließ der Alte die Pferde bringen. Es waren kräftige, aber schnelle Tiere, für die die Bauradim berühmt waren. Die drei Männer verließen die Oase der Silberblume, wo bereits reges Leben herrschte. Da waren Komödianten, Jongleure und Schlangenbeschwörer bei der Arbeit. Märchenerzähler saßen da, umringt von Kindern, deren Eltern sie dorthin geschickt hatten, um in Ruhe ihrem Tagewerk nachzugehen. Die drei ritten auf die Zackigen Säulen zu, deren Umrisse man gegen den Morgenhimmel schwach erkennen konnte. Die Winde der Seufzerwüste hatten die Berge zerfressen, bis nur noch die riesigen gezackten Säulen aus rotem Sandstein dastanden und das Himmelsgewölbe zu tragen schienen. Elric dachte anfangs, er sähe die Ruinen einer uralten Stadt. Doch dann erzählte ihm Alnac Kreb die Wahrheit.
»Es gibt in der Tat viele Ruinen in dieser Gegend. Einzelhöfe, kleine Dörfer, ganze Straßen gibt die Wüste manchmal frei. Alles unter dem Sand begraben, den die törichten Zauberer Quarzhasaats verschuldeten. Es bauten noch viele hier, als der Sand schon kam, weil sie hofften, er würde sich bald wieder verziehen. Verlorene Träume, fürchte ich, wie so viele Dinge, die Menschen bauten.«
Raik Na Seem führte sie ohne Kompaß oder Karte zielstrebig durch die Wüste. Er kannte offensichtlich den Weg instinktiv und durch Gewohnheit.
Sie hielten an einer Stelle an, wo Kakteen fast völlig vom Sand begraben standen. Raik Na Seem nahm ein langes Messer und schlitzte die Pflanzen bis zu den Wurzeln auf. Er schälte sie geschickt und gab seinen Freunden die saftigen Stücke. »Früher gab es hier einen Fluß«, erklärte er. »Die Erinnerung daran ist geblieben, tief unter der Oberfläche. Die Kakteen wissen das.«
Die Sonne hatte den Zenit erreicht. Elric spürte, wie die Hitze an seinen Kräften zehrte. Er nahm einen Schluck Elixier, um mit seinen Gefährten Schritt halten zu können. Erst gegen Abend waren die Zackigen Säulen nähergerückt. Raik zeigte auf etwas, das in den letzten Strahlen der untergehenden Sonne glänzte. »Dort ist das Bronzezelt, wo die Wüstenbewohner zum Meditieren hingehen.«
»Ist es euer Tempel?« fragte Elric.
»Es kommt einem Tempel sehr nahe. Wir erforschen dort unser Inneres. Damit kommt es auch den Religionen im Westen sehr nahe. Und dort bewahren wir auch unser Heiliges Mädchen, das Symbol all unserer Ideale, das Gefäß der Weisheit unserer Rasse.«
Alnac war überrascht. »Ist Varadia jetzt immer dort?«
Raik Na Seem schüttelte den Kopf. »Erst seit sie in diesen unnatürlichen Schlaf verfiel, mein Freund. Du weißt doch, was für ein normales kleines Mädchen sie vorher war, die
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