Die Festung der Perle
schleuderte. Ihm kam es vor, als stürme ein fahles Pferd mit einem Reiter in einer Rüstung aus Elfenbein, Perlmutt und hellem Schildpatt vorbei. Doch da war der Spuk schon in der Dunkelheit hinter dem Tor zwischen den Goldströmen verschwunden. Elric war ganz sicher, daß es ein ebensolcher Krieger gewesen war, der ihn bereits an der Brücke angegriffen hatten. Wieder meinte er das höhnische Lachen zu hören, als das Klappern der Hufe leiser wurde und von dem, was hinter dem Tor lag, aufgesogen wurde.
»Wir haben einen Feind«, bemerkte Oone grimmig. Sie hatte die Fäuste geballt und hatte große Mühe, nicht die Beherrschung zu verlieren. »Man hat uns bereits identifiziert. Die Festung der Perle verteidigt sich nicht nur, sie greift auch an.«
»Kennst du diese Reiter? Hast du sie schon einmal gesehen?«
Die Traumdiebin schüttelte den Kopf. »Ich kenne die Sorte, das ist alles.«
»Und können wir ihnen nicht irgendwie aus dem Weg gehen?«
»Kaum.« Oone runzelte die Stirn und dachte über ein Problem nach, über das sie aber nicht sprechen wollte. Dann aber schob sie es beiseite, nahm Elrics Arm und führte ihn unter den goldenen Kaskaden in eine weitere Höhle, die von sanftem, grünen Licht erfüllt war. Elric hatte das Gefühl, als schritte er durch einen frischen Laubwald im Frühling. Es erinnerte ihn an Melnibonä auf der Höhe der Macht, als seine Bewohner so stolz waren, daß sie die Welt nicht in Frage stellten. Damals hatten sie ganze Nationen zu ihrer Kurzweil umgestaltet. Sie gingen weiter und gelangten in eine Höhle, die so gewaltig war, daß Elric nicht mehr glaubte, unter der Erde zu sein. Er sah die Türme und Minarette einer Stadt, und alles leuchtete im gleichen warmen Grün. Die Stadt war so schön wie sein geliebtes Imrryr, die Träumende Stadt, durch die er als Junge gestreift war.
»Die Stadt sieht aus wie Imrryr, ist aber gleichzeitig ganz anders als Imrryr«, sagte er überrascht.
»O nein«, entgegnete Oone. »Sie ist wie London. Sie ist wie Tanelorn. Sie ist wie Ras-Paloom-Atai.« Sie meinte das nicht ironisch, sondern so, als sei sie überzeugt, daß diese Stadt allen anderen glich, von denen Elric nur eine kannte.
»Aber du hast sie schon früher einmal gesehen, oder? Wie heißt sie?«
»Die Stadt hat keinen Namen«, antwortete Oone. »Und doch alle Namen. Sie heißt so, wie du sie nennen willst.« Sie wandte das Gesicht ab, als wolle sie sich sammeln, ehe sie den Albino den Weg hinabgeleitete, der um die Stadt herumführte.
»Sollten wir nicht hineingehen? Vielleicht gibt es dort Leute, die uns helfen, den richtigen Weg zu finden.«
Oone winkte ab. »Vielleicht gibt es welche, die uns nur aufhalten würden. Eins ist jetzt klar, Prinz Elric, unsere Mission wird überwacht, und gewisse Mächte setzen alles daran, uns davon abzubringen.«
»Glaubst du, daß die Zauberer-Abenteurer uns gefolgt sind?«
»Oder vorausgeritten. Und bestimmt haben sie eine Überraschung für uns zurückgelassen.« Mißtrauisch bückte sie zur Stadt hinüber.
»Aber es sieht so friedlich aus.« Je länger Elric die Stadt betrachtete, desto mehr beeindruckte ihn die Architektur. Die Gebäude waren alle aus grünlichem Stein erbaut, der manchmal leicht in Gelb oder Blau überging. Gewaltige Stützpfeiler trugen geschwungene Brücken zwischen massigen Türmen. Daneben aber ragten, zart wie Spinnweben, riesige Minarette auf, deren Spitzen an das Dach der Höhle zu stoßen schienen. Die Stadt sprach etwas in ihm an, das er aber nicht benennen konnte, an das er sich in diesem Augenblick auch nicht erinnerte. Heißes Verlangen ergriff ihn, in die Stadt hineinzugehen. Obwohl er geschworen hatte, Oone zu folgen, lehnte er sich gegen ihre Führung auf. In ihm gewann der Gedanke an Boden, daß die Traumdiebin nicht mehr weiter wußte und daß sie auch nicht besser geeignet war als er, ihr gemeinsames Ziel zu finden.
»Wir müssen weiter«, drängte Oone.
»Ich weiß, daß ich in dieser Stadt etwas finden würde, was Imrryr wieder groß machen könnte. Und in dieser neuen Größe könnte ich mit ihr die Weltherrschaft erreichen. Nur würden wir diesmal anstatt von Grausamkeit und Schrecken Schönheit und guten Willen bringen.«
»Du erliegst Illusionen leichter als ich geglaubt hatte, Elric«, sagte Oone.
Ärgerlich fuhr er sie an: »Was ist denn an solchen Plänen falsch?«
»Sie sind unrealistisch. Ebenso unrealistisch wie diese Stadt.«
»Die Stadt sieht mir aber recht solide aus.«
»Solide?
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