Die Festung der Perle
kommen in lauterer Absicht; aber wir können nicht bleiben.«
Ein Mann sprach: »Reisende? Was sucht ihr hier?«
»Wir suchen die Festung der Perle«, erwiderte Elric.
Oone war über seine Offenheit deutlich verärgert. »Wir haben nicht den Wunsch, uns lange in Marador aufzuhalten«, sagte sie. »Wir hätten nur gern gewußt, wo sich das nächste Tor befindet, das Paranor-Tor.«
Der Mann lächelte nachsichtig. »Das ist verloren, fürchte ich. Für uns alle verloren. Aber der Verlust schmerzt nicht, er tröstet eher, spürst du es nicht auch?« Er schaute sie mit träumenden, entrückten Augen an. »Man sollte nicht nach dem suchen, was einen dann doch nur enttäuscht. Hier ziehen wir es vor, uns an jene Dinge zu erinnern, die wir am meisten begehrten, und wie es war, sie zu begehren …«
»Wäre es nicht besser, weiter danach zu suchen?« Elric war selbst über seinen rauhen Ton erschrocken.
»Aber warum, Herr? Wenn sich doch die Realität im Vergleich zur Hoffnung nur als unbefriedigend erweisen kann?«
»Meinst du wirklich?« Elric war bereit, diesen Gedanken zu erwägen; aber Oone packte ihn fest am Arm.
»Denk an den Namen, den die Traumdiebe diesem Land gegeben haben«, sagte sie leise, aber beschwörend.
Elric dachte nach. Ja, dies war in der Tat das Land Alter Sehnsüchte. Seine eigenen vergessenen Sehnsüchte kamen zurück und brachten ein Gefühl von Einfachheit und Frieden. Dann aber erinnerte er sich, wie diese Gefühle von Wut verdrängt wurden, als ihm klar wurde, daß sich seine Träume wohl nie erfüllen würden. Er hatte über die Ungerechtigkeit der Welt getobt. Dann hatte er sich ins Studium der Zauberkunst gestürzt. Er war entschlossen, die Gleichgewichte zu verschieben, mehr Freiheit und Gerechtigkeit einzuführen mit Hilfe der Macht, die ihm gegeben war. Doch seine melniboneischen Zeitgenossen hatten sich geweigert, seine Logik zu akzeptieren. Die frühen Träume waren allmählich verblaßt und mit ihnen die Hoffnung, die anfangs sein Herz so freudig hatte schlagen lassen. Jetzt wurde ihm wieder Hoffnung angeboten. Vielleicht gab es Reiche, in denen all seine Wünsche Wirklichkeit waren? Vielleicht war Marador eine solche Welt?
»Wenn ich zurückginge und Cymoril hierherbrächte, könnten wir, glaube ich, in Harmonie mit diesen Menschen leben«, sagte er zu Oone.
Die Traumdiebin blickte ihn beinahe verächtlich an.
»Dies ist das Land Alter Sehnsüchte - nicht das Land Erfüllter Sehnsüchte! Da besteht ein gewaltiger Unterschied, mein Lieber. Die Gefühle, die du spürst, sind angenehm und können auch leicht bewahrt werden - während die Realität außerhalb deiner Reichweite liegt, so lange du dich nur nach dem Unerreichbaren sehnst. Als du dich aufmachtest, Elric von Melniboné, um nach der Erfüllung zu suchen, erwarbst du dir Größe in der Welt. Wendest du dich aber ab von diesem Ziel - von deinem Entschluß, dazu beizutragen, eine Welt zu schaffen, in der Gerechtigkeit herrscht - dann hast du meine Achtung verloren. Und du verlierst die Achtung vor dir selbst! Dann erweist du dich als Lügner und machst mich zur Närrin, weil ich glaubte, du würdest mir helfen, das Heilige Mädchen zu retten!«
Elric war über ihren Ausbruch schockiert, der ihm in dieser heiteren und gelassenen Umgebung unangebracht vorkam. »Aber, Oone, ich glaube, es ist unmöglich, eine solche Welt zu errichten! Da ist es doch wirklich besser, mit der Aussicht darauf zu leben als mit der Gewißheit des Scheiterns.«
»Das glauben alle in diesem Reich. Bleib hier, wenn du willst, und teile ihren Glauben auf ewig. Ich aber glaube, daß man stets den Versuch machen muß, Gerechtigkeit zu finden, ganz gleich wie schlecht die Aussichten auf Erfolg auch sein mögen.«
Elric fühlte sich müde und hätte sich gern gesetzt, um auszuruhen. Er gähnte und streckte sich. »Die Menschen hier scheinen ein Geheimnis zu haben, das ich gern erfahren würde. Ich glaube, ich rede ein bißchen mit ihnen, ehe ich weitergehe.«
»Tu das und Anigh stirbt. Das Heilige Mädchen stirbt. Und alles, was du an dir schätzt, wird ebenfalls sterben.« Oone hob nicht die Stimme. Sie sprach ganz sachlich. Aber in ihren Worten lag so viel Drängen, daß Elrics Stimmung gebrochen wurde. Es war nicht das erste Mal, daß er sich am liebsten in seine Träume zurückgezogen hätte. Wenn er es getan hätte, dann würde er jetzt über sein Volk herrschen und Yyrkoon wäre tot oder verbannt.
Die Gedanken an seinen Vetter und dessen
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