Die Festung der Perle
den Kopf. »Es ist, als ob man einen Code versteht, ohne aber zu wissen, worauf sich die Wörter beziehen«, erklärte sie. »Auf alle Fälle ist die Macht imstande, einen so überragenden Helden wie Chamog Borm zu verbannen.«
»Ich weiß über ihn nur das wenige, das ich auf dem Sklavenmarkt in Quarzhasaat hörte.«
»Das Heilige Mädchen rief ihn sofort herbei, als es merkte, daß man es wiederum angriff. Zumindest glaube ich das. Es war sicher, daß er es nicht im Stich lassen würde. Doch - auf irgendeine unbekannte Weise verschlimmerte er alles. Da fühlte sich das Heilige Mädchen von ihm verraten und verbannte ihn an den Rand des Namenlosen Landes, vielleicht um andere zu begrüßen und zu unterstützen, die ihm zu Hilfe kommen wollten. Zweifellos ist der Grund, warum wir wie Helden ausgestattet wurden, daß wir ebensolche Helden sein mögen wie er.«
»Aber wir kennen diese Welt doch viel weniger. Wie können wir dort Erfolg haben, wo er versagte?«
»Vielleicht aufgrund unseres Unwissens«, meinte Oone. »Vielleicht auch nicht. Ich weiß die Antwort auch nicht, Elric.« Sie ritt nahe an den Albino heran, beugte sich herüber und küßte ihn auf die Wange. »Aber eines solltest du wissen: Niemals werde ich das Heilige Mädchen oder dich verraten, wenn ich es verhindern kann. Doch müßte ich einen verraten, dann würdest es wohl du sein.«
Verblüfft schaute Elric sie an. »Meinst du, daß es dazu kommen wird?«
Sie zuckte mit den Schultern und seufzte. »Ich weiß es nicht, Elric. Doch schau! Ich glaube, wir haben die Festung der Perle erreicht.«
Ein Palast wie eine außerordentlich kunstvolle Elfenbeinschnitzerei hob sich gegen den silbernen Himmel über den weißen Berggipfeln ab. Unzählige Türme, Kuppeln und seltsame Konstruktionen ragten auf, als habe jemand sie mitten im Flug gebannt. Brücken und Treppen, geschwungene Mauern mit Galerien, Balkonen und Dachgärten in allen nur denkbaren Pastellfarben, Myriaden verschiedener Pflanzen, Blumen, Bäume und Büsche. Auf all seinen Reisen hatte Elric nur einen einzigen Ort gesehen, der sich mit der Festung der Perle vergleichen konnte, und dies war seine eigene Stadt Imrryr. Doch war die Träumende Stadt exotisch, reich, warm und eine romantische Fantasie im Vergleich zu der kalten Pracht der Festung.
Beim Näherreiten bemerkte Elric, daß die Festung nicht rein weiß war, sondern auch blau, silbern, grau, rosig, und an manchen Stellen gar gelb oder grün schimmerte. Ihm kam es vor, als sei der gesamte Komplex aus einer einzigen riesigen Perle geschnitzt. Das Tor war kreisrund, von Gittern mit spitzen Stäben geschützt, die von allen Seiten kamen und sich in der Mitte trafen. Es war so gewaltig, daß sich Elric und Oone wie Zwerge vorkamen.
Elric fiel nichts anderes ein, als mit lauter Stimme zu rufen: »Öffnet im Namen des Heiligen Mädchens! Wir sind hier, um gegen diejenigen anzutreten, die ihre Seele gefangen halten.«
Seine Worte hallten durch die Türme der Festung und brachen sich an den Bergipfeln ringsum, ehe sie hoch oben am Dach einer Höhle verklangen. Im Schatten hinter dem Tor bewegte sich etwas Scharlachrotes. Köstlicher Parfümduft, gemischt mit jenem eigenartigen Geschmack des Meeres, den er bemerkt hatte, als sie das Namenlose Land betraten, schlug ihm entgegen.
Dann öffneten sich die Gitter so schnell, als würden sie sich in Luft auflösen. Vor ihnen stand ein Reiter, dessen höhnisches Lachen ihnen inzwischen nur allzusehr vertraut war.
»Das ist so, wie es sein sollte, glaube ich«, sagte der Perlkrieger.
»Verbünde dich nochmals mit uns, Perlkrieger!« Oone sprach so gebieterisch sie es vermochte. »Das ist es, was sie wünscht.«
»Nein. Sie soll nicht verraten werden. Ihr müßt aufgelöst werden! Jetzt! Jetzt! Jetzt!« Bei den letzten Worten warf er den Kopf in den Nacken und heulte wie ein tollwütiger Hund.
Elric zog das Schwert aus der Scheide. Es schimmerte ebenso silbern wie die Klinge des Perlkriegers. Oone folgte zögernd seinem Beispiel.
»Wir werden jetzt vorbeireiten, Perlkrieger.«
»Nichts da! Ich will eure Freiheit.«
»Sie soll sie haben!« erklärte Oone. «Es ist nicht deine Freiheit, es sei denn, sie selbst verleiht sie dir.«
«Sie sagt, daß sie mir gehört. Ich werde das sein. Ich werde das sein!«
Elric konnte dieser seltsamen Unterhaltung nicht folgen und beschloß daher, nicht noch mehr Zeit zu vergeuden. Er trieb das Silberpferd an, die Klinge glänzte in seiner Hand. Das Schwert
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