Die Festung der Perle
Pferde durch einen herzförmigen Torbogen in den nächsten Hof. Auch hier sprudelten Fontänen, doch diese flossen nicht über. Sie schienen aus Elfenbein geschnitzt zu sein, wie so viele Teile der Festung. Hier streckten Reiher die Köpfe empor, bis sich ihre Schnäbel trafen. Ein wenig erinnerte Elric alles hier an Quarzhasaat, allerdings war es nicht so dekadent, ja senil, wie dort. War die Festung von Vorfahren des jetzigen Herrschers von Quarzhasaat erbaut worden oder von dem Rat der Sechs und dem Einen? War ein großer König vor Jahrtausenden aus der Stadt geflohen und in das Traumreich gelangt? Wie war die Legende von der Perle nach Quarzhasaat gekommen?
Ein Innenhof folgte dem anderen, jeder ein Wunder von fast überirdischer Schönheit. Elric überlegte, ob sie dieser Weg nicht einfach mitten durch die Festung hindurch zur anderen Seite führen würde.
»Für ein solch großes Bauwerk ist es ein wenig unterbevölkert«, stellte er fest.
»Ich glaube, daß wir schon recht bald auf die Bewohner stoßen werden«, sagte Oone. Sie stiegen jetzt eine Wendeltreppe hinauf, die um eine große Kuppel herumführte. Trotz der kalten Atmosphäre hatte Elric das Gefühl, die Festung sei irgendwie organisch, als sei sie aus Fleisch geformt und dann versteinert.
Der Hufschlag der Pferde, die sie immer noch mitführten, wurde von schweren Teppichen verschluckt, als sie durch die Korridore und Hallen schritten, deren Wände mit kostbaren Wandteppichen behängt und mit Mosaiken verziert waren. Allerdings gab es nirgendwo Abbildungen von Menschen, nur geometrische Muster.
»Ich glaube, wir nähern uns dem Herz der Festung.« Oone flüsterte, als befürchte sie, belauscht zu werden. Elric hatte jedoch noch niemand gesehen. Vor ihnen erstreckte sich eine Flucht von Sälen, getragen von hohen Säulen, die seltsamerweise von Sonnenlicht erhellt wurden, das von außen hereinzudringen schien. Elric folgte Oones Blick und meinte, ein Stück blauen Tuches dahinhuschen zu sehen, um durch eine Tür zu verschwinden. »Wer war das?«
»Alles dasselbe«, murmelte Oone vor sich hin. »Alles dasselbe.« Sie hatte wieder das Schwert gezückt und bedeutete Elric, es ihr gleichzutun. Sie betraten einen neuen Innenhof. Dieser schien zum Himmel hin offen zu sein - zum selben grauen Himmel, den sie anfangs in den Bergen gesehen hatten. Galerie auf Galerie erhob sich auf allen Seiten, viele Stockwerke hoch. Elric glaubte, Gesichter zu sehen. Während er forschend hinaufschaute, ergoß sich plötzlich eine eklige, rote Flüssigkeit über sein Gesicht. Beinahe hätte er das scheußliche Zeug eingeatmet. Von allen Seiten kam es wie ein Gießbach. Elric hielt es für menschliches Blut. Schon standen sie knietief darin. Hoch oben hörte er Gemurmel und leises Gelächter.
»Aufhören!« rief er und watete zur Seite. »Wir wollen verhandeln. Wir wollen nur das Heilige Mädchen! Gebt uns ihre Seele zurück, und wir gehen auf der Stelle!«
Die Antwort war eine weitere Blutdusche. Elric wollte sein Pferd ins nächste Gemach ziehen, doch da war ein Gitter davor. Er versuchte, es hochzustemmen und aus den Angeln zu heben. Oone wischte sich das rote Zeug ab und trat an seine Seite. Mit ihren langen, zarten Fingern ertastete sie eine Art von Knopf. Langsam, beinahe widerstrebend hob sich das Gitter. Spitzbübisch lächelte sie ihn an. »Wie die meisten Männer verlegst du dich auf rohe Gewalt, wenn du in Panik gerätst, mein Lieber.«
Ihr Spott tat ihm weh. »Ich hatte keine Ahnung, daß es eine solche Vorrichtung gab, Mylady!«
»Denk in Zukunft an solche Möglichkeiten, dann sind deine Chancen, hier lebend rauszukommen, besser.«
»Warum wollen sie nicht mit uns verhandeln?«
»Wahrscheinlich glauben sie nicht, daß wir wirklich verhandeln wollen«, entgegnete Oone. »Ganz ehrlich, ich kann über ihre Logik nur Mutmaßungen anstellen. Jedes Abenteuer eines Traumdiebes ist verschieden von den anderen, Elric. Komm.« Sie führte ihn an einer Reihe von Teichen vorbei, aus deren warmem Wasser Dampf aufstieg. Niemand badete darin. Elric hatte den Eindruck, als trieben sich seltsame Wesen darin herum, vielleicht Fische. Er beugte sich vor, um genauer hinzusehen. Doch Oone zog ihn zurück. »Ich warnte dich. Deine Neugier kann deinen und meinen Untergang herbeiführen.«
In einem Teich brodelte und zischte es. Dann war wieder alles ruhig. Doch plötzlich bebte die ganze Festung. In den Marmorböden öffneten sich Spalten und das Wasser schäumte hoch
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