Die Festung der Perle
schluchzen. »Sag Oone, was geschieht mit mir?«
»Wir sind in Falador«, erklärte sie. »Hast du dich wieder gefangen, Elric?«
Immer noch grinsten ihn die Gesichter aus den Felsen an. Immer noch war die Luft voll von allem, was er fürchtete, was er an sich haßte.
Er zitterte am ganzen Leib und konnte Oone nicht in die Augen blicken. Da merkte er, daß er weinte. »Ich bin Elric, der letzte des königlichen Geblüts von Melniboné«, sagte er. »Ich habe so viele Schrecken gesehen und den Herzögen der Hölle gedient. Warum sollte ich mich jetzt fürchten?«
Oone antwortete nicht. Er hatte es auch nicht erwartet.
Das Boot tanzte auf dem Wasser auf und nieder.
Plötzlich war Elric ganz ruhig. Liebevoll ergriff er Oones Hand. »Ich glaube, jetzt bin ich wieder ich selbst.«
»Dort ist der Eingang«, sagte Königin Zephir, und deutete mit dem Zeigefinger nach vorn.
»Dort ist das Land, das du Namenloses Land nennst«, erklärte sie. Jetzt sprach sie nicht mehr in Rätseln wie bisher. »Dort werdet ihr die Festung der Perle finden. Sie kann euch nicht willkommen heißen.«
»Wer?« fragte Elric. Der Fluß war jetzt ganz ruhig. Sie trieben auf ein großes Alabastertor zu, das von Blättern und Büschen gesäumt war. »Das Heilige Mädchen?«
»Sie kann gerettet werden«, erklärte Königin Zephir. »Nur von euch beiden. Ich habe ihr geholfen, hier zu bleiben und auf Rettung zu warten. Aber das war auch alles. Mehr kann ich nicht tun. Ich habe nämlich Angst.«
»Die haben wir alle, Mylady«, versicherte ihr Elric.
Jetzt wurde das Boot von einer anderen Strömung ergriffen und trieb noch langsamer dahin, als zaudere es, das letzte Tor der Traumreiche zu durchfahren.
»Aber ich bin keine Hilfe«, sagte die Königin. »Vielleicht gehöre ich sogar zu den Verschwörern. Es waren diese Männer. Sie kamen. Dann kamen noch mehr. Danach gab es nur noch Rückzug. Ich wünschte, ich wüßte diese Worte. Dann würdet ihr verstehen. Ach, es ist so schwer hier.«
Elric blickte in ihre tieftraurigen Augen, und es wurde ihm klar, daß sie in dieser Welt viel mehr gefangen war als er und Oone. Ihm kam es so vor, als verzehre sie sich danach, aus dieser Welt zu fliehen, würde aber von der Liebe und Fürsorge für das Heilige Mädchen gehalten. Aber sie war doch mit Sicherheit schon lange hier gewesen, ehe Varadia gekommen war?
Nun glitt das Boot unter dem Alabastertorbogen hindurch. Die Luft war leicht salzig und angenehm frisch, als würden sie sich dem Meer nähern.
Elric mußte die Frage stellen, die sich ihm aufdrängte.
»Königin Zephir, seid ihr Varadias Mutter?«
Der Schmerz in ihren Augen wurde noch größer. Dann wandte die verschleierte Frau den Kopf beiseite. Ihre Stimme war ein einziger Schmerzensschrei. Betroffen vernahm er die Antwort.
»Oh, wer kann das wissen?«, sagte sie weinend. »Wer kann das wissen?«
DRITTES BUCH
Gibt es den tapfren Lord, geboren vom Geschick,
Der alte Waffen fuhrt und neues Land erwirbt mit Glück,
Der niederreißt die Mauern, von der Zeit geheiligt,
Der alte Tempel entlarvt als Lügen und beseitigt,
Der willens ist, zu opfern seinen Stolz und seine Liebe,
Ja selbst sein eigen Traum, sein Volk, Historie,
Der seinem Frieden vorzieht harten Kampf und Glorie,
Um dann am Ende elend dazuliegen
Als Leichnam, selbst verschmäht von Fliegen?
Die Chronik des Schwarzen Schwertes
Kapitel 1
Am Hof der Perle
Beim Anblick der Landschaft überfiel Elric abermals jenes seltsame Gefühl des Wiedererkennens, obgleich er sich nicht entsinnen konnte, jemals eine ähnliche Landschaft gesehen zu haben. Blaßblauer Nebel erhob sich über Zypressen, Dattelpalmen, Orangenbäumen und Pappeln, deren Grün ebenfalls blaß war. Auf den sich weit dahinziehenden Wiesen leuchteten gelegentlich weiße Findlinge, in der Ferne sah man schneebedeckte Berggipfel. Das Ganze glich einem Gemälde, bei dem der Künstler zarte Aquarellfarben und feine Pinsel verwendet hatte. Diese Vision des Paradieses traf Elric nach dem Grauen Faladors völlig unvorbereitet.
Königin Zephir schwieg, seit sie Elrics Frage beantwortet hatte, und zwischen den dreien hatte sich eine seltsam bedrückte Stimmung entwickelt, die allerdings Ellies Entzücken über die Welt, in die sie jetzt gekommen waren, nicht zu dämpfen vermochte. Der Himmel - wenn es ein Himmel war - hing voller perlmuttfarbener Wolken, die am Rand leicht rosig und goldgelb schimmerten. Aus dem flachen Dach eines Hauses stieg eine
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