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Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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wir
lebten und uns liebten. Brauchte es noch mehr Gründe?
    Sie kam gerade von irgendwo mit
Šehagas Geschirr zurück.
    »Wo warst du?«
    »Ich habe alles, was dir Šehaga
geschickt hat, an die Nachbarskinder verteilt.«
    »Das war richtig.«
    »Sicher. Ich brauche keine Almosen.«
    Heute war anscheinend ihr Tag des
Zorns. War er seit dem Morgen nicht verraucht?
    »Das sind keine Almosen«, sagte ich
ruhig. »Es ist so Brauch.«
    »Ich hasse Bräuche, die mich
erniedrigen.«
    »Was hast du heute nur?«
    Sie habe nichts, sagte sie eisig,
aber was sei mit mir los? Immer sei sie allein, sie habe niemand, mit dem sie
ein Wort reden könne (das kannte ich alles schon auswendig), aber auch sie sei
ein menschliches Wesen, sie könne nicht ewig mit den vier Wänden sprechen. Und
sie wisse nicht, womit sie sich gegen Gott versündigt habe, daß er sie so
strafe, noch was sie mir getan habe, daß ich sie so behandele. Sie habe sich
von allem losgesagt, habe ihre Verwandten vergessen, auf alles verzichtet,
woran sie gewöhnt war, Freunde und Bekannte verloren, alles meinetwegen. Ich
aber lege mir keine Beschränkungen auf. Ich ginge aus, ich hätte meine Freunde,
meine Sorgen, die nicht die ihren seien, denn ich verheimlichte sie, ich sei
den ganzen Tag nicht da, Gott allein wisse, wo ich mich umhertrieb und was ich
machte, ich bliebe meinen Gewohnheiten treu, ich feierte den Bairam, ihr sei
das versagt, und sie sei einsam wie ein Stoppelhalm auf ödem Feld. Am Mittwoch
sei der Feiertag ihres Hauspatrons gewesen,, des heiligen Nikola, zwanzig
Jahre lang sei sie an diesem Tag mit ihrer Familie zusammen gewesen, aber an
diesem Mittwoch habe sie allein herumgesessen, sich allein ausgeweint, nicht
über das Familienfest, sondern über ihr Schicksal. Warum sie nichts gesagt
habe? Müsse sie denn alles sagen? Könne ich nicht selbst die Augen aufmachen?
Ich sorgte mich um Mahmut, um Ramiz, um Šehaga, um sie kümmere ich mich nicht.
Sie sähe mir jede Veränderung an, jeden Schatten, der über mein Gesicht ginge,
ich aber bemerkte nicht, was in ihr vorginge. Ich hätte mich an ihre
Aufmerksamkeit gewöhnt, ich spürte sie gar nicht mehr, aber sie sei selbst
schuld, sie habe mich verzärtelt, sie bewahre mich vor Ungelegenheiten und Not,
sogar vor ihrer schlechten Stimmung, nur damit ich es leichter habe. Wenn ich
es wenigstens zur Kenntnis nähme, dann wäre es ihr nicht leid. Andere Männer
scharwenzelten um ihre Frauen herum, machten ihnen den Hof, verwöhnten sie. Sie
verlange das nicht, sie sage nur, wie es bei anderen sei. Aber was mache ich
mit ihr? Hätte ich sie je ausgeführt? Nein, nirgendwohin. Hätte ich sie in
diesen zwei Jahren mit etwas Hübschem überrascht? Nein, mit nichts. Als wäre
sie eine Magd und keine Ehefrau. Die Männer seien grob und selbstsüchtig,
aufmerksam nur im Anfang, später würden sie bequem, und wenn die Frauen häßlich
würden, so wie sie häßlich geworden sei, dann liefen sie weg. Sie wisse es,
niemand brauche es ihr zu sagen, sie sähe es an allem, daß ich sie nicht mehr
liebte, und es würde sie nicht wundern, wenn sie hörte, daß ich eine Geliebte hätte. Aber
sie würde das nicht dulden wie andere Frauen, sie würde fortgehen, sie habe
nichts und niemanden, aber fortgehen würde sie, ganz gleich wohin, und wenn sie
sich als Dienstmädchen verdingen müßte, aber diese Erniedrigung würde sie nicht
hinnehmen.
    So schalt sie mich für meine
wirklichen Vergehen und für solche, die sie sich einbildete, sie klagte mich
für die Sünden aller lebenden und toten Männer an, sie zieh mich der Laster von
Großvätern und Urgroßvätern und allgemeiner männlicher Verderbtheit, die nicht
bewiesen zu werden brauche.
    Anfangs fand ich das lächerlich,
dann ärgerlich, dann wurde ich zornig, und am Ende wußte ich nicht mehr, was
ich sagte, genau wie sie.
    Halt ein, sieh doch, wie es schneit,
sagte ich. Und: Was hast du nur, um Gottes willen! Und dann: Habe ich es
vielleicht verdient, so beleidigt zu werden?
    Wütend erinnerte ich sie daran, daß
ich ihr bei unserer ersten Begegnung ehrlich gesagt hatte, wer und was ich war,
nichts hatte ich verheimlicht, sie hatte gewußt, daß sie ein Leben in Armut
erwartete, und jetzt konnte ich sie nur bedauern, daß sie keinen Kaufmann oder
Handwerker geheiratet hatte, der sie zur angesehenen und geachteten Frau
gemacht hätte (aus mir sprach der Zorn, nicht Überlegung oder Verstand, und ich
hieb auf die Pauke wie ein dummer August). Ich könne ihr weder

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