Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
Vom Netzwerk:
dabei herausgekommen. Sicher wunderst du dich, was ich mit so einer
großen Sitzbank anfange, Osman-aga hat sich auch gewundert ...«
    »Wer ist
denn dieser Osman-aga?«
    »Osman-aga Vuk. Die Sitzbank ist für
Nachbarn, Kaufleute und Handwerker. Heute morgen waren sie schon hier. Gestern
bin ich bei ihnen zu Besuch gewesen und habe sie zur Einzugsfeier eingeladen.«
    »Das war
das erste, was du gemacht hast?«
    »Zuerst habe ich aufgeräumt und sie
dann eingeladen. So ist es Brauch unter Kaufleuten.«
    »Willst du
ihnen geschäftliche Ratschläge geben?«
    »Aber nein! Das tut man unter Kaufleuten
nicht. Außer wenn man
gefragt wird. Und ich habe auch genug zu tun.«
    »Du riechst nicht einmal nach
Schnaps.«
    »Hier trinke ich nicht, es gehört
sich nicht. Zu Hause trinke ich, aber wenig, und danach gehe ich gleich
schlafen. Zur Arbeit muß man pünktlich kommen.«
    »Warte doch mal! Bin ich hier
überhaupt richtig? Rede ich mit jemand, der Mahmut ähnlich sieht? Ist denn gar
nichts von dem alten Mahmut übriggeblieben?«
    »Ich bin vernünftig geworden, das
ist die ganze Veränderung. Zum Besseren, wie ich hoffe. Und für dich ist es
auch an der Zeit, zur Ruhe zu kommen.«
    Was war mit Mahmut geschehen?
Solange er keine Arbeit hatte, war er eine geschwätzige Elster gewesen, jetzt
war er eine weise Eule. Einst hatte er gegen alle Regeln verstoßen wie ein
halbwüchsiger Junge, jetzt kannte er die kaufmännischen Gepflogenheiten wie
jeder kleine Händler. Was hatte Osman aus ihm gemacht? Hatte er dem
Schmetterling die Flügel ausgerissen, ließ er nun einen Wurm über die Erde
kriechen? Er war unterhaltsam gewesen, jetzt
war er langweilig. Er war voller Saft gewesen, jetzt war er verdorrt. Er war
einmalig gewesen, jetzt war er einer von vielen. Bedeutete das: vernünftig
werden?
    »Träumst du noch vom großen
Reichtum?«
    »Nein«, antwortete er weise. »Warum
soll ich mir etwas vormachen? So lebe ich sicherer, einfacher und besser. Die
Arbeit ist leicht, über den Lohn habe ich mit Osman-aga noch nicht gesprochen
...«
    »Wer ist denn Osman-aga?«
    »Osman-aga Vuk, Bruder. Über den
Lohn, sage ich, haben wir noch nicht gesprochen, aber wenn er so ist wie bei
Dedo, brauche ich keine Angst zu haben, daß ich im Alter Not leiden muß.
Bestimmt bekomme ich nicht weniger, ich glaube sogar, daß es mehr sein wird,
Osman-aga weiß, wie es vor meiner Zeit hier aussah und wie es jetzt ist. Hast
du die Katzen im Speicher bemerkt?«
    »Was für Katzen?«
    »Ich habe mir vier Katzen aus der
Nachbarschaft geholt. Es macht ein bißchen mehr Arbeit, Trinkwasser wechseln,
Schmutz wegräumen, aber es lohnt. Sie fangen die Mäuse weg.«
    »Das ist gescheit!« sagte ich mit
deutlichem Spott.
    Er faßte es völlig ernst auf.
    »Natürlich. Hier haust ein ganzes
Mäuseheer, sie nagen die Säcke an, fressen vom Getreide, und was sie noch alles
für Schaden anrichten. Angenommen, es sind zweihundert, aber das reicht nicht,
dann haben sie sich in einem Jahr auf zweitausend vermehrt und in zehn Jahren
auf zwanzigtausend.«
    »Worauf haben sie dann bis jetzt
gewartet? Warum ist es bei zweihundert geblieben?«
    »Voriges Jahr waren es sicher nur
zwei, ein Männchen und ein Weibchen, aber sie hecken so schrecklich, daß es
übers Jahr zweitausend sein werden. Nehmen wir an, eine Maus ißt nur zwanzig
Körner am Tag, das macht bei zweihundert Mäusen täglich viertausend Körner,
also pro Jahr etwa anderthalb Millionen Körner. Zweitausend Körner auf eine
Okka gerechnet, sind das siebenhundertfünfzig Okka. Wenn nur ebenso viele
Nachbarmäuse zu Gast kommen, und sicher kommen noch mehr, wie viele Ladungen
Getreide gibt das? Ladungen! Osman-aga hat den Mund aufgesperrt, als ich ihm
das vorgerechnet habe.«
    »Wer ist bloß ... ach, ich weiß
schon! Ich kann mich an diesen Osman-aga nicht gewöhnen.«
    Osman-aga hatte sicher den Mund
aufgesperrt, als er hörte, wie viele Ladungen Getreide Mahmut aus dem Speicher
abzuzweigen gedachte, um alle Schuld auf die Mäuse zu schieben.
    Aber auch das stimmte nicht. Ich
sperrte den Mund auf wie Osman und aus demselben Grund, denn Mahmut war nicht
mehr er selbst. Er wollte nicht stehlen.
    »Wir haben alle Löcher zugestopft,
die Katzen hergeholt, und jetzt werden drei Ladungen mehr im Speicher bleiben.«
    Himmel, öffnet euch! Er hatte sich
selbst den Rückzug abgeschnitten.
    »Hast du diesem Osman-aga auch
vorgerechnet, wie die Katzen unter den Mäusen aufräumen werden?«
    »Ja. Wenn jede täglich nur

Weitere Kostenlose Bücher