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Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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zehn
fängt, macht das vierzig Mäuse bei vier Katzen.«
    »Das heißt, jährlich soundso viel,
also werden in diesem Kampf zwischen Katzen und Mäusen hoffentlich die Mäuse
siegen.«
    »Nein, denn siehst du ...«
    »Ich sehe. Hast du den Laden
verkauft?«
    »Ich habe ein paar Kunden, aber ich
warte auf ein höheres Angebot. Es ist ein schönes Grundstück.«
    Mir wurde das Herz schwer. Das war
nicht mehr mein Mahmut. Jener war ein Poet voller Lügengeschichten gewesen,
dieser war eine kleine Krämerseele. Mein Mahmut war den Wolken nachgejagt,
dieser war hinter den Mäusen her. Mein Mahmut war närrisch und liebenswert
gewesen, dieser war langweilig und unausstehlich.
    Wie hatte er sich in so kurzer Zeit
derart verändern können? Dann war er also gar kein Träumer gewesen, der das
Unmögliche herbeisehnte, sondern ein Betrüger, der nur auf eine Gelegenheit
wartete, um das zu werden, was er wirklich darstellte.
    Vielleicht war es ungerecht von mir,
so zu denken, denn der ewige Pechvogel hatte bekommen,
was er sich gewünscht hatte, ein bißchen kleiner, ein bißchen erdnäher, aber er
war es zufrieden. Warum hatte ich ihn zum Phantasten gemacht, der im Grunde gar
nichts verwirklichen wollte? So war es natürlicher, doch es gab einen interessanten
Menschen weniger, und das war ein unersetzlicher Verlust. Wäre einer aus der
namenlosen Masse dahingegangen, wie ein Blatt vom Baum fällt, es wäre kein
großer Verlust gewesen. Aber wenn einer starb, der sich durch Frische
ausgezeichnet hatte, so hinterließ er eine erschreckende Leere. Je mehr graue
Menschen dieses graue Leben bevölkerten, desto trauriger war es, zu leben.
    Ein Dichter war gestorben, wie auch
immer er gewesen sein mochte, und noch ein Krämer hatte das Licht der Welt
erblickt.
    Vielleicht hatte er gar nicht
existiert, vielleicht hatte ich ihn erfunden, vielleicht hatte ich ihn unter
anderen ausgezeichnet, ohne daß er Verdienst oder Schuld daran trug. Dennoch
hatte ich am meisten verloren. Seine ständige Jagd nach dem Glück, mochte sie
auch nur gespielt sein, war so schön wie ein Traum, der nie Wirklichkeit
werden konnte. Seine Zerstreutheit, seine Zerfahrenheit, seine rührende
Hilflosigkeit, seine naiven Lügen, sein Wankelmut, seine Angst und
Unsicherheit, seine verworrene Redeweise, all das war menschlich gewesen. Dies
war zu gewöhnlich. Mit diesem Mann würde ich keine gemeinsame Sprache mehr
finden. Unsere Wege würden sich trennen, zu seiner Erleichterung. So, wie ich
war, konnte er, wie er war, mich nicht brauchen. Und ich ihn auch nicht.
    Und während ich mit etwas Bitterkeit
und viel Trauer einen Menschen zu Grabe trug, den es nicht mehr gab und mit
dessen Nachfolger ich keine Freundschaft zu schließen gedachte, überlegte ich,
wie ich mich verabschieden sollte, um den Dahingeschiedenen nicht zu
beleidigen, denn der Gegenwärtige ging mich nichts an.
    Da betrat der Serdar Avdaga den
Speicher. Seine Ankunft erfreute mich weder, noch erschreckte sie mich, sie
würde mir nur den Abgang ohne Erklärungen erleichtern.
    Aber ich ging nicht, es hätte wie
Flucht ausgesehen.
    Mahmut stand auf, legte die Hand an
die Brust und ver neigte sich, tiefer und beflissener, als es der alte Mahmut
getan hätte, aber mit viel mehr Würde. Einst war er ihm kläglich und
verschreckt begegnet, ohne sich über sein Benehmen Rechenschaft zu geben,
jetzt war er ruhig, selbstbewußt, auf sicherem Posten, und er wußte, was sich
gehörte.
    Er sagte auch etwas, die Worte habe
ich mir nicht gemerkt, aber sie waren schön und wohlgesetzt, es sei ihm
angenehm, er fühle sich geehrt, so ähnlich. Und gerade deshalb beschloß ich zu
bleiben, verletzt durch Mahmuts Verhalten, seine beklagenswerte Wandlung, die
in allem sichtbar wurde, verärgert über seine scheinbare Kriecherei und
tatsächliche Selbstsicherheit, die mir unbegreiflicher war als alles, was
Mahmut sich ausdenken konnte. Nicht ausdenken, sondern sein. Er würde sich
nichts mehr ausdenken. Aber dann fiel mir ein, daß mein eigenes Benehmen
unpassend war, daß ich nicht Mahmut herausforderte, sondern Avdaga, und das ohne
Sinn und Zweck, also erhob ich mich verlegen und setzte mich wieder, erhob mich
abermals und setzte mich, als Mahmut Avdaga wie eine Braut zur Bank führte. So
verdarben mir Mahmuts Gehabe und mein eigenes völlig die Stimmung, und meine
albernen Aufstehversuche überzeugten mich davon, daß es in unwichtigen Dingen
am besten war, zu tun, was die anderen taten, wenn man sich nicht

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