Die Festung
unmöglich
machen wollte.
Schade, daß ich nicht sofort
aufbrechen konnte, es wäre peinlich und unhöflich gewesen, und vielleicht hätte
ich wieder ein paarmal zum Gehen angesetzt, um dann doch zu bleiben. Das
Schlimme war, daß man, hatte man erst einen kleinen Fehler gemacht, immer mehr
aneinanderreihte, wie Perlen auf eine Schnur. Nichts bleibt so ungern allein
wie ein Fehler.
Um weitere falsche Schritte zu
vermeiden, schwieg ich.
Auch der Serdar Avdaga schwieg.
Zum Glück redete Mahmut. Er erzählte
seine Geschichte noch einmal, sogar mit denselben Worten, wobei es ihm nichts
ausmachte, daß ich zuhörte (früher hätte er das nie getan): Er berichtete, wie
er den Speicher geweißt, aufgeräumt und eingerichtet hatte, er erzählte von
den Mäusen, von der Anzahl der Getreidekörner in einer Okka, vom Schaden, von den Katzen aus der
Nachbarschaft und ihrer Nützlichkeit, die auch Osman-aga zugegeben habe.
Ich konnte mir kaum das Lachen
verbeißen, als Avdaga fragte: »Welcher Osman-aga?« Nur daß er das nicht spöttisch
und böse fragte wie ich – er wußte wirklich nicht, wer Osman-aga war, denn
niemand redete Osman so an.
Mahmuts Geschichte war genauso dumm
und läppisch wie kurz zuvor, vielleicht noch unerträglicher, weil ich sie zum
zweitenmal hörte; diese Wände würden sie jeden Tag zu hören bekommen, ich nie
wieder. Doch jetzt hatte dieses langweilige Gerede wenigstens Zweck und Nutzen,
es füllte die quälende Stille, die uns zuzudecken drohte.
Ich vermied Avdagas Blick und tat,
als lauschte ich Mahmuts Worten. Wenn ich ihn verstohlen musterte, sah ich,
daß er schwieg und zuhörte. Er schwieg ganz sicher, aber ob er wirklich
zuhörte, während er die Glut im Kohlenbecken anstarrte? Sein Schweigen lastete
schwer, es war voller Mißstimmung und, so seltsam es klingt – voller Trauer.
Tatsächlich: Trauer.
Woher kam Trauer in das Herz und in
das Gesicht dieses Mannes, der nicht einmal seinen getöteten Bruder bedauert
hatte, der keinen nahestehenden Menschen hatte, weil er ihn nicht brauchte,
weil ihm die Arbeit Frau und Kinder, Liebe und Glück ersetzte? Dennoch drückten
seine Augen, seine Haltung, seine Gesichtszüge Trauer und Niedergeschlagenheit
aus wie bei jedem anderen Menschen.
Je deutlicher sich der Schmerz in
seiner Miene abzeichnete, desto tiefer sank ihm der Kopf, aber als er schon einzuschlafen
schien, hob er plötzlich die Hand und unterbrach Mahmuts Bericht mitten in
einem Satz über Katzen und Mäuse.
Mahmut verstummte gehorsam, nicht
erstaunt und nicht erschrocken, und wartete geduldig ab, was er sagen würde.
Avdaga fragte leise: »Warum hat
Osman dir diese Arbeit gegeben?
»Weil er weiß, daß ich ehrlich und
fleißig bin.«
»Und warum hat er nicht ihn
genommen?« Er wies auf mich. »Er liebt die Arbeit ebensowenig wie du, aber
dafür ist er redlicher.«
»Es ist taktlos, mich daran zu
erinnern, Avdaga. In der Jugend kann einem allerhand geschehen, und ich habe
überreichlich dafür bezahlt. Warum beurteilst du mich nicht danach, was ich
einmal war und was ich jetzt bin?«
»Von dem, was jetzt ist, weiß ich
nichts. Auch Osman nicht. Was früher war, weiß ich. Osman ebenfalls. Warum hat
er dir dann diese Arbeit gegeben? Du bist nicht einmal Kaufmann.«
»Weißt du was, Avdaga«, sagte Mahmut
wie jeder angesehene Mann, der sich in seinem Stolz verletzt fühlt, »du
solltest lieber Osman-aga danach fragen als mich. Er weiß es am besten.«
»Vielleicht frage ich ihn noch.
Jetzt frage ich dich. Warum hat er dir diesen Posten gegeben?«
»Vor allem muß ich dir sagen, daß
deine Frage beleidigend ist.«
»Ob sie beleidigend ist, weiß ich
nicht, aber sie ist notwendig.«
Dann schwiegen sie.
Mahmut begann sein krankes Bein zu
massieren, es meldete sich immer, wenn er ängstlich und entrüstet war.
Avdaga starrte Mahmut mit
kummervollen Augen an, sicher bedauerte er, daß dessen Kopf nicht aus Glas war
oder daß er ihn nicht entzweischlagen konnte, um in Mahmuts Gehirn die Antwort
auf die Frage zu suchen, die ihn hergeführt hatte.
Beide wußten offensichtlich nichts.
Mahmut war überzeugt, daß ihm das Glück gelächelt hatte, daß endlich ein
Mensch sein Geschäftstalent entdeckt und ihm deshalb den Posten gegeben hatte.
Jede andere Vermutung, wie immer sie sein mochte, war für ihn unvorstellbar und
kränkend. Avdaga wiederum glaubte, daß nur ein Verrückter so mir nichts, dir
nichts Mahmut in seine Dienste nehmen konnte. Da Osman nicht verrückt
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