Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
Vom Netzwerk:
müsse er wieder an die Arbeit, er habe ohnehin viel
versäumt.
    Mahmut war im Laden. Wir sahen einen
jungen Mann herauskommen und wieder hineingehen, entweder hatte ihn jemand
gerufen, oder ihm war etwas eingefallen.
    Im Näherkommen hörten wir den
mageren, hochgewachsenen jungen Mann reden, seine Hand lag dabei auf der
Klinke der halboffenen Tür, als wollte er nur ein letztes Wort sagen und sich
dann verabschieden. Aber als wir verstanden, was er sprach, blieben wir stehen,
schauten die Tür, schauten einander an und wußten nicht, was wir tun sollten.
Ich jedenfalls wußte es nicht, und so dachte ich, daß es Osman nicht anders
erging. Mir war sofort klar, das war Mahmuts Sohn, der Goldschmied aus Mostar,
und er war hier, um mit seinem Vater zu sprechen. Aber was war das für ein
Gespräch, Herrgott! Es war kein Gespräch, sondern ein wütendes Knurren, in das
Mahmut ab und zu ängstlich ein Wort einwarf.
    »Das ist sein Sohn«, flüsterte ich
Osman peinlich berührt zu. »Verschwinden wir lieber.«
    »Warte, das möchte ich hören!«
    Er stand neben der Tür, lauschte
angestrengt, mit häßlicher Grimasse und murmelte etwas Unverständliches.
    »Du sagst, es ist eine Schande, daß
ich so rede? Eine Schande ist das, was du dein Leben lang tust! Seit ich denken
kann, schäme ich mich deinetwegen. Tagelang habe ich geweint, weil mein Vater
ein Dieb ist, meine Kindheit hast du zerstört. Du sagst, du bist mein Vater.
Ja, leider. Deshalb bin ich auch fortgelaufen, weil ich so einen Vater hatte,
ich war ausgestoßen wie du und völlig ohne Schuld. Aber jetzt, da ich ein neues
Leben beginnen will, habe ich das Recht, meinen Anteil zu fordern.«
    »Da ist der Laden, da ist das Haus,
bring deine Frau her, und dann leben wir zusammen.«
    »Eher springe ich in die Neretva.«
    »Warte, bis ich das Geld
aufgetrieben habe.«
    »Ich will nicht warten, und du wirst
das Geld nie auftreiben. Verkauf den Laden und das Haus, es ist sowieso zu
groß, nehmt euch ein kleineres.«
    »Auf unsere alten Tage, mein Sohn?
Kannst du nicht warten, bis wir tot sind? Wir machen nicht mehr lange.«
    »Ich
kann nicht warten, ich brauche das Geld.«
    »Hast du mit Mutter gesprochen?«
    »Mit dem Kadi werde ich sprechen,
einklagen werde ich meinen Anteil. Und Mutter hole ich zu mir nach Mostar.«
    »Sie hat es gut bei mir.«
    »Bei dir hat es niemand gut.«
    Osman lachte zähnefletschend und
klopfte sich mit Fußtritten gegen die Schwelle den Schnee von den Schuhen,
damit man auf ihn aufmerksam wurde.
    Ich packte seinen Arm, um ihm
Einhalt zu gebieten, doch er riß sich los.
    Im Laden trat Stille ein.
    »Kein Wort darüber, daß wir
mitgehört haben.«
    Er betrat den Laden. Würde er alles
verderben? Mahmut war närrisch, aber stolz. Er hatte sogar verschwiegen, daß er
einen Sohn hatte, um nicht offenbaren zu müssen, welche Schwierigkeiten er ihm
machte.
    »Stören wir?« fragte Osman und sah
den jungen Mann an.
    »Nein, im Gegenteil!«
    Natürlich störten wir nicht. Noch
nie war ihm Hilfe so im rechten Augenblick gekommen.
    Dennoch schaute er unruhig um sich.
    »Mit wem haben wir die Ehre,
Mahmut?«
    »Das ist mein Sohn.«
    »Ein schöner Sohn.«
    Mahmut sah uns verlegen an, er wußte
nicht, ob wir sein Gespräch mit dem Sohn belauscht hatten.
    Ich beeilte mich, ihn zu beruhigen
und das Thema zu wechseln, denn Osman schlug sich heftig mit der rechten Faust
gegen die linke Handfläche, und es konnte geschehen, daß ihm die eigene Hand als
Ziel nicht genug war.
    »Wir wollen nur sehen, wie es dir
geht.«
    »Danke«, stammelte Mahmut.
    »Und ich bin dir wegen des Bairams
eine Erklärung schuldig«, fügte Osman unnatürlich freundlich hinzu. »Es tut mir
leid, daß wir uns nicht sehen konnten. Ich habe schon zu Ahmet gesagt, es gibt
so viel Arbeit, daß ich nicht zur Ruhe komme.«
    »Ich weiß, er hat es mir erzählt.«
    Der junge Mann sagte zu seinem
Vater: »Ich gehe jetzt.«
    Ich gehe jetzt, aber du hörst bald von mir!
    Die Drohung schwang
unmißverständlich mit!
    Und er ging, ohne uns einen Blick
gegönnt zu haben. Entweder hatten wir keinen besonderen Eindruck auf ihn
gemacht, oder er hatte uns abgeschrieben, sobald er merkte,  daß wir Mahmuts
Freunde waren. Mahmut tat mir leid, aber ich konnte auch den Jungen nicht
verurteilen, denn er hatte es schwer im Leben.
    Mahmut versuchte, das ungehörige
Benehmen seines Sohnes zu rechtfertigen.
    »Er will heiraten, und da sticht ihn
der Hafer. Eben haben wir darüber gesprochen, daß ich den

Weitere Kostenlose Bücher