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Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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war,
mußte es einen Grund für diesen unvernünftigen Schritt geben. Aber welchen? War
er ihm verpflichtet, entschädigte er ihn für einen erwiesenen Dienst? Mahmuts
Dienste waren immer verdächtig, das wußte Avdaga nur zu gut, in dem Fall war
etwas Gesetzwidriges geschehen, und es lohnte sich, in Erfahrung zu bringen,
was das war.
    Ging er immer so blindlings auf sein
Ziel los?
    Er schwieg lange, auch so konnte man
einen Menschen aus der Ruhe bringen.
    Mahmut knetete mit zittrigen Fingern
immer heftiger sein Bein, stumm gemacht durch Avdagas Schweigen über einen
unklaren Verdacht, unsicher unter Avdagas schwerem Blick, erschrocken vor
Avdagas Hartnäckigkeit, deren Grund er nicht kannte. Vielleicht dachte er: Was
denn, schon Hindernisse beim ersten Schritt, wollen sie sich meinem Glück in
den Weg stellen? So in Nöten, kam er mir fast vor wie der alte Mahmut.
    Es hätte interessant sein können,
wäre es nicht so qualvoll gewesen.
    Avdagas Schweigen flößte dem Opfer
Angst ein, Angst vor dem, was er nicht sagte und nicht durchblicken ließ.
Dennoch gab er ihm Zeit genug, über mögliche Schuld nachzudenken und zu
kapitulieren. Vielleicht war es auch Sparfeuer, weil die Munition nicht
ausreichte. Wenn nur ein Verdacht bestand, konnte der Angriff nicht lange
dauern. Sie würden sich in einem Teufelskreis aus immer gleichen Fragen und
immer gleichen Antworten drehen, und der Verdacht würde sich nicht erhärten.
    Aber noch war Avdaga nicht hilflos:
Er begann sein Opfer zu umkreisen und den Ring enger zu ziehen. Er fragte:
»Hast du den Kastellan gekannt?«
    »Welchen Kastellan?« fragte Mahmut
ausweichend.
    »Den Kastellan.«
    »Ach, den Kastellan!«
    »Ja, den Kastellan.«
    »Doch, den habe ich gekannt.«
    »Wie gut?«
    »Nur vom Sehen.«
    »Hast du oft mit ihm gesprochen?«
    »Oft? Nie. In meinem Leben kein
einziges Wort.«
    »Denk nach!«
    »Ich weiß es genau.«
    »Könntest du es beschwören?«
    »Ja.«
    »Und als du in der Festung
eingesperrt warst?«
    »Ach so! Ich weiß nicht, vielleicht
hat er mich nach meinem Namen gefragt.«
    »Und nach deiner Schuld.«
    »Das habe ich vergessen.«
    »Hast du noch etwas vergessen?«
    »Ich weiß nicht, was du meinst.«
    »Wann hast du zum letztenmal mit ihm
gesprochen?«
    »Ich sage doch, damals in der Festung.«
    »Das sagst nicht du, sondern ich.
Und jetzt, vor kurzem?«
    »Seitdem nie wieder, beim Leben
meiner Kinder.«
    »Was dein Schwur wert ist, weiß
ich.«
    »Frag doch den Kastellan, er wird es
bestätigen.«
    Wieder zog Schweigen herauf wie eine Wolke.
    Mahmut bestritt krampfhaft, mit dem
Kastellan gesprochen zu haben, als wäre das allein schon verdächtig. Ebenso
hätte er geleugnet, am Fluß spazierengegangen zu sein, gefülltes Kraut zu
Mittag gegessen zu haben, fünf Katzen statt vier zu besitzen, denn wenn Avdaga
Fragen stellte, konnte alles verdächtig und gefährlich sein.
    Und mir ging jetzt erst ein Licht
auf. Avdaga ermittelte wegen der Entführung und glaubte, Mahmut hätte mit dem
Kastellan verhandelt. Für diese Gefälligkeit hatte ihm Osman Arbeit gegeben.
    Mahmut tat mir leid, ich wußte, daß
er nichts damit zu tun hatte, aber ich konnte ihm nicht helfen. Wie sollte ich
Avdaga sagen: Osman Vuk hat Mahmut nicht gekannt, sie sind sich erst in der
Nacht der Entführung begegnet.
    Warum er ihm Arbeit gegeben hatte,
wußte ich nicht. Mit diesem Augenblick der Schwäche, der sich nicht so bald
wiederholen würde, hatte er mich ebenso überrascht wie Mahmut, vielleicht sogar
sich selbst.
    Avdaga konnte widersprüchliches
Verhalten und unerwartete Beschlüsse nicht verstehen, er sah nur Ursache und
Wirkung, Dienst und Lohn. Er dachte: Jemand hat den Kastellan überredet, den
Entführern die Festung zu öffnen, und später hat Osman Vuk dem unfähigen Mahmut
diesen Posten gegeben. Warum? Weil Mahmut mit dem Kastellan geredet hat. Nach
Avdagas Logik war das so klar, daß selbst Mahmuts verlegenes Leugnen einen
sicheren Beweis darstellte.
    Und traurig war er, weil er ihm die
Schuld nicht nachweisen konnte. Er brauchte den
Beweis, er war zu redlich, um einen Menschen ohne erwiesene Schuld zu
bestrafen, er brauchte einen Zeugen, er brauchte ein Geständnis, doch woher
sollte er sie nehmen? Es gab sie nicht, noch nicht, aber er würde Mahmut so
lange keine Ruhe lassen, bis einer von beiden auf der Strecke blieb. Er würde
ihm nachsetzen wie ein hungriger Wolf einem alten Hirsch, beide würden stolpern,
würden keuchen vor Angst und vor Jagdfieber,

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