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Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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mittags nach Hause kam,
sagte Tijana, Mahmut habe nach mir gefragt.
    Ich erklärte ihr, warum er mich
suchte: Er fühlte sich wieder allein, mit den Kaufleuten konnte er nicht über
seine Ängste reden, er hatte offenbar gewisse Geschäfte mit Osman, und der
Serdar Avdaga verdächtigte ihn.
    Um sie nicht zu erschrecken, machte
ich nur vage Andeutungen, aber sie hörte kaum zu, als langweilten sie diese
Männersachen. Für sie gab es Wichtigeres. Sie zeigte mir ein gesticktes
Seidentuch, das ihr Mahmuts Frau Paša geschenkt hatte, mit Kränzchen aus gelben
und blauen Blüten in der Mitte und an den Rändern. War das nicht viel schöner
als unsere dummen Streitigkeiten?
    Sie waren gute Freundinnen geworden,
mehr noch, sie konnten einander nicht entbehren. Wenn Tijana nicht zum Vratnik
ging, kam Paša zu ihr, und sie hatten sich sofort etwas zu erzählen, das
Gespräch vom Vortag wurde fortgesetzt und dann am nächsten Tag
wiederaufgenommen. Meistens redeten sie über das Kind, das Tijana erwartete,
über seine Ausstattung, sie rätselten, ob es ein Junge oder ein Mädchen, sein
würde, überlegten sich eine Unzahl von Namen aus Gedichten, aus der Geschichte,
aus dem Leben, um für jenen Tag einen auszuwählen, gewöhnlich war es der
schlimmste, den das Kind dann auch bekommen würde, um ihn als Last oder Spott
sein Leben lang mit sich herumzuschleppen. Paša erging sich in
unerschöpflicher Mütterlichkeit (ihre eigenen Kinder waren ihr nicht genug,
sie bedauerte, nicht ein Dutzend geboren zu haben), und Tijana vergaß über
diesen lustvollen Sorgen Angst und böse Ahnungen, ernsthaft mit Nichtigkeiten
beschäftigt, erfüllt von einem erstaunlichen Gefühl des Glücks und des Stolzes.
    Mich dagegen vergaß sie fast, sie
drängte mich beiseite, ich war nicht mehr so wichtig wie früher. All ihre
Aufmerksamkeit galt diesem lebenden, aber ungeborenen Geschöpf, das lebendiger
war als ich, bedeutungsvoller als alles auf der Welt. Was sie auch sagte, ich
wußte, ihre Gedanken waren bei ihm. Wenn sie mich fragte, ob
ich Aussicht auf eine Beschäftigung hätte, dann war es seinetwegen. Wenn sie
sich an ihren Vater erinnerte, dann nicht mit jener tiefen Trauer, die mich so
erschreckt hatte, sondern voller Bedauern, weil der Großvater sein Enkelkind
nicht mehr sehen konnte. Auch unser Zimmer war ihr nur seinetwegen nicht mehr
gut genug, wir mußten uns zum Frühjahr etwas anderes suchen, ohne Kakerlaken,
nicht so heiß und nicht so eng. Alles, was sie tat oder sagte oder dachte, hatte
einen einzigen Anlaß und Grund. Sie liebte diese Frucht, dieses künftige Kind
bereits, und wenn sie mich einfältig fragte, ob ich es auch liebe, mußte ich
bejahen, damit sie mich nicht für ein Monstrum hielt, denn sie hätte nicht
begriffen, daß eine Mutter selbst den Gedanken an ihr Kind liebte, während der
Vater erst das lebende Geschöpf liebgewinnen würde, vielleicht nicht einmal
vor dem ersten Lächeln. Ich wußte nichts von ihm, es war mir fremd und fern,
sie aber spürte es unablässig als einen Teil ihrer selbst. Wenn ich ihm einen
Gedanken gönnte, dann war es aus Sorge um sie und unser künftiges, völlig verändertes
Leben; für sie war es der Sinn des Daseins, ihm und seinem Glück hatte sich
alles unterzuordnen. Ich war beunruhigt, dachte voller Bange daran, was aus
ihr werden sollte, wenn sie wieder eine Fehlgeburt hatte; sie dagegen war
ruhig, sie lebte in Einklang mit ihrer Umgebung, ihre Welt war wohlgeordnet,
ohne Leere und Sinnlosigkeit. Das Kind in ihr gab allem Ordnung und Sinn.
    Ich beobachtete, wie sie bei der
Zubereitung des Mittagessens plötzlich innehielt, sich mit weitgeöffneten
Augen und seligem Lächeln langsam auf die Bank setzte, aufrecht, gesammelt,
feierlich, und vorsichtig ihren gewölbten Leib betastete.
    »Es bewegt sich«, sagte sie überglücklich.
»Ich habe ein Füßchen gespürt.«
    Keine freudige Nachricht, kein
Geschenk, kein Reichtum hätte sie so glücklich machen können wie diese leise
Regung des lebenden Wesens in ihr. Sie würde jede Wiederholung herbeisehnen,
davon träumen wie von der Liebe.
    Gerührt von ihrem Entzücken, das ich
nicht ganz begriff, trat ich zu ihr, bereit, ihre Empfindung zu teilen, ich
nahm sie bei der Hand und sagte ihr, daß ich sie liebe. Sie drückte leicht
meine Finger, dankbar, weil ich seinetwegen ihre Nähe suchte, weil ich sie
seinetwegen liebte, weil wir seinetwegen existierten. Großzügig verzieh ich ihr
diese Ungerechtigkeit, unterdrückte meine

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