Die Festung
kümmerte sie nicht.
Sie hatten sich geschickt verstellt, alles geheimgehalten, und ich hatte ihnen
als Kurier und als Deckung gedient.
Alles paßte zusammen. Genau wie
Osman geplant hatte. Für ihn waren Menschen nur Mittel zum Zweck, warum sollte
ich eine Ausnahme sein?
Aber Mahmut? Wie hatte er sich so
verstellen können? Ich hatte geglaubt, ihn genau zu kennen, ich hatte ihm zwar
allerhand zugetraut, jedoch keine Heuchelei. Seine harmlosen Geheimnisse hatte
er scheinbar gehütet, hatte einen Tag oder eine Stunde darüber geschwiegen,
dann aber alles wie auf dem Tablett serviert, so erleichtert, als befreite er
sich von einer schweren Last. Für mich war er ein hilfloses altes Kind mit der
Seele einer Taube gewesen, und deshalb hatte ich ihn gern gehabt. Wenn er aber
dieses häßliche Spiel getrieben hatte, dann war er ein schmutziger alter Lump,
den ich so schnell wie möglich vergessen mußte. Mit einem Mahmut, dem jetzigen,
hatte ich gebrochen. Würde ich mich auch von dem ehemaligen, den es nicht mehr
gab, lossagen?
Ich sah ihn an, von Zweifel geplagt.
Auch er sah mich an, beunruhigt, als lese er meine Gedanken und verteidige sich
voller Reue. Er sah hilflos aus wie eh und je, und wieder jammerte mich mein
alter Mahmut, doch diesem hier konnte ich nicht verzeihen. Ich räumte jedem das
Recht ein, mich zu hintergehen, nur nicht einem Freund.
Avdaga stocherte schweigend mit der
Kohlenzange in der erlöschenden Glut. Worauf wartete er, warum ging er nicht?
Aber vielleicht würde er niemals gehen, weder er noch Mahmut, vielleicht würden
beide am Kohlenbecken sitzen bleiben, schweigend auskühlen wie die Glut,
schweigend sterben.
Der Ankläger würde seinen Beweis nicht bekommen und der
Angeklagte straffrei ausgehen.
Doch der
halbtote Avdaga, bedauerlicherweise noch am Leben,
reckte seine kräftigen Schultern und schaute mich an.
War ich
jetzt an der Reihe?
Seine
Stimme war leise, müde, bekümmert. Ich war gereizt und
verbittert. Zwischen uns kann kein Gespräch zustande kommen, was
willst du von mir?
Er jedoch
war im Dienst und kannte keine Müdigkeit.
Er fragte
mich: »Warum hat Osman nicht dir den Speicher anvertraut?«
»Was sollte
ich damit?«
»Verlangst
du etwas Besseres?«
»Ich
verlange nichts.«
»Wovon
lebst du?«
»Ich
stehle, raube, morde, je nachdem.«
»Ich habe
dich bei der Totenfeier für Avdija Skakavac gesehen.«
»Ich dich
auch.«
»Warum
warst du dort?«
»Ich wußte
nicht, daß es verboten ist.«
»Worüber
hast du mit dem alten Omer Skakavac in seinem Hof
gesprochen?«
Zum Glück
war ich darauf vorbereitet, Osman hatte eine Andeutung
gemacht.
»Ich hatte
gehört, daß er guten Tabak hat, und wollte ihm etwas
abkaufen.«
»Und hast
du gekauft?«
»Nein, er
hatte nichts.«
»Danach
haben seine Söhne Avdija mit dem Pferd abgeholt.«
»Davon weiß
ich nichts.«
Ich
erinnerte mich an Osmans Rat, daß es bisweilen gut ist, den
ersten Schuß abzufeuern. Ich fragte: »Woran ist der junge Mann
gestorben? Er soll kerngesund gewesen sein.«
Er sah mich
lebhafter und aufmerksamer an, und ich bereute, zu
weit vorgeprescht zu sein. Vielleicht war er nicht klug, aber
er ließ sich nicht zum Narren machen. Er antwortete nicht, und das war die
schlimmste Antwort, als hätte er gesagt: Was fragst du mich?
Er saß noch ein Weilchen, starrte
ins Kohlenbecken, dann erhob er sich bedächtig und verließ ohne Eile den Raum.
Mahmut begleitete ihn lustlos und
zögernd hinaus, und als er zurückkam, war er besorgt. Er schloß die Tür und
platzte heraus: »Warum hat er mich nach dem Kastellan gefragt?«
»Mich hat
er nach Omer Skakavac gefragt.«
»Aber
warum?«
»Das sagt
er uns vielleicht morgen.«
»Meinst du,
er kommt morgen wieder?«
»Bestimmt.«
»Wie er einen ansieht, wie er
schweigt! Man kann Angst bekommen.«
»Warum hast du Angst, wenn du nicht
schuldig bist?«
»Wieso schuldig, um Gottes willen! Und woran?«
Ich stand
auf und verabschiedete mich. Bei ihm konnte ich nicht
länger bleiben. Sein möglicher Verrat hatte mich zu tief getroffen.
Mein Aufbruch erschreckte ihn,
vielleicht auch meine Kälte. Er glich wieder dem alten Mahmut, doch ich war zu
sehr verletzt, um ihn von den Toten auferstehen zu lassen.
»Bleib noch ein wenig«, bat er.
»Ich muß
gehen.«
Ich ließ ihn allein mit den Mäusen,
den Katzen und seiner Angst, auf der Straße überlegte ich, daß das nicht nötig
gewesen wäre, aber ich kehrte nicht um.
Die Grabinschrift
Tags darauf, als ich
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