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Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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vielleicht würde das Opfer
aufgeben und lieber untergehen, als sich länger hetzen zu lassen.
    Und all das für nichts, wegen eines
Verdachts, der gewisse Tatsachen in falschen Zusammenhang brachte. Ich mußte
mir das anhören und schweigen, ich durfte nicht sagen: Laß den Mann in Ruhe, er
weiß nicht einmal, wonach du fragst, und macht sich dadurch noch verdächtiger.
    Selbst wenn ich es gesagt hätte, es
wäre vergebens gewesen. Avdaga war ein Sklave seines Berufs, dieser war seine
einzige Leidenschaft, er lebte, um Menschen zu jagen und zu ergreifen, so wie
andere lebten, um sie zu trösten und von Krankheiten zu heilen. Nur daß sich
Avdaga in seinem Metier häufiger an Erfolgen erfreuen konnte.
    Aber warum verdächtigte er Osman?
Oder schrieb ich ihm mein eigenes Wissen über Osman zu, während er selbst gar
nicht an ihn dachte? Vielleicht dachte er doch an ihn: Wenn er Mahmut diesen
Posten gegeben hat, hat er damit etwas bezahlt. Er zweifelte an der ganzen
Welt, er lebte mit dem Zweifel, träumte den Zweifel, und nicht immer ohne
Grund. Verbrechen wurden täglich verübt. Wenn der Schuldige nicht gefaßt wurde,
waren alle Menschen verdächtig. Niemand konnte sich dafür verbürgen, daß sein
Mitmensch nicht irgendwann Böses tun würde, das wußte er genau. Avdaga
forschte, Avdaga zweifelte, das war sein Schicksal, denn das Verbrechen war
meist in Dunkel gehüllt, und der wirklich Schuldige ging an ihm vorüber, sah
ihm in die Augen, tat ungestört seine Arbeit, lachte, saß vielleicht sogar mit
ihm am selben Tisch, er ahnte nur, witterte, spürte, vielleicht näherte er sich
und entfernte sich wieder, war überzeugt und wieder skeptisch, glücklich, wenn
er eine Spur aufnahm, verzweifelt, wenn er sie verlor, und nur der Tod konnte
seiner Schnüffelei ein Ende setzen. Denn er wußte, wenn er davon abließ, wenn
er ermüdete, wenn er den Schuldigen nicht faßte und bestrafte, dann war die
Welt dem Verbrechen ausgeliefert, dann senkte sich Finsternis auf die Erde,
und der Jüngste Tag brach an.
    Bei Mahmut hatte er einen
spinnwebfeinen Faden gefunden, dennoch klammerte er sich an ihn. Das traurigste
war, daß Mahmuts Glück die Ursache für Avdagas Verdacht darstellte. Und Osmans
Edelmut, den er selbst bereute. Gewisse Menschen waren und blieben Pechvögel.
So viele, die ohne Verstand, ohne Fähigkeiten, ohne Anstand waren, hatten
Erfolg im Leben, und niemand wunderte sich darüber. Aber der arme Mahmut hatte
kaum seinen finsteren Speicher voller Mäuse und Mäusedreck bezogen und
begonnen, sich Hoffnungen auf ein sorgenfreies Alter zu machen, da war er schon
verdächtig geworden. Immer war ihm alles schiefgegangen, wie sollte es jetzt
anders sein. Um seiner schönen Augen willen hatte Osman ihn nicht genommen.
    Ja wirklich, warum hatte ihm Osman
diesen Posten gegeben? Es war häßlich, daß ich mir die Frage stellte, aber sie
drängte sich auf. Ich hatte mich gefreut, als er es tat, doch warum?
    Wie sollte ich das wissen! Ich
selbst hatte Osman an jenem Abend gebeten, ihn in die Schenke mitzunehmen, ich
hatte ihn gebeten, ihm ein paar freundliche Worte zu sagen, ich war schuld, daß
wir Zeugen des Streits geworden waren, der Osman erzürnt hatte. All das war mir
bekannt, aber dennoch, warum? Nur weil der Sohn dem Vater dreist entgegengetreten
war? Osman war auch durch viel Schlimmeres als einen gewöhnlichen Streit nicht
zu rühren.
    So ansteckend war also fremder
Zweifel, man unterlag ihm, auch wenn man wußte, daß der Verdächtige unschuldig
war.
    Wenn er unschuldig war.
    Und wenn er es nun nicht war, wenn
sich der erfahrene Jäger Avdaga auf der richtigen Fährte befand?
    Dieser Gedanke bestürzte mich.
    Es war unmöglich, ich wußte es doch!
    Aber der Gedanke war nicht mehr
aufzuhalten, und gegen meinen Willen überschritt er die Grenze der Vernunft und
riß mich in einen Abgrund finsterer Vermutungen.
    Wenn es so war, dann ließ sich alles
leicht zusammenfügen, dann war alles klar.
    Osman hatte Mahmut zum Kastellan
geschickt, er schien ihm am besten geeignet, denn ihm hätte niemand geglaubt,
selbst wenn er sich verplappert hätte. Später hatte Mahmut hartnäckig darauf
bestanden, Osman zu treffen und seinen Lohn zu fordern. Osman hatte ihn
abgewiesen, um keinen Verdacht zu erregen, und erst Mahmuts klägliche
Niederlage vor dem Sohn hatte Osman als Vorwand gedient, ihn wie versprochen zu
entschädigen.
    Alles paßte zusammen. Nur daß ich
mich zum Narren gemacht hatte, paßte nicht dazu, doch das

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