Die Festung
er, zu wem ich gehen muß,
wenn ich etwas will.«
»Ich habe ihn gefragt: Was mag der
Serdar Avdaga wollen? Er wußte es nicht.«
»Und
worüber habt ihr noch gesprochen?«
»Über Šehaga. Er ist wieder von zu
Hause fortgegangen.«
»Was hast
du mit Šehaga zu tun?«
Er war geduldig und hartnäckig wie
ein Jagdhund, der seine Beute nicht losläßt, und wenn man ihm den Kiefer
zertrümmert. Würde er nach meiner Kehle schnappen, bis einer von uns umfiel? Er
umkreiste mich wie ein wildes Tier, das noch zögert, zum Sprung anzusetzen,
aber sobald er gewiß war, sein Ziel nicht zu verfehlen, würde er mir das
Rückgrat brechen.
Er wußte, daß Mahmut und ich die
schwächsten Glieder in der Kette waren, und hier packte er zu. Er würde uns
nicht mehr loslassen.
Diese schöne Aussicht ließ mir das
Herz gefrieren, und mein Hirn wurde zu einer sülzigen Masse ohne einen einzigen
Gedanken. Das dauerte nur einen langen und qualvollen Augenblick, ich vergaß
vor Unruhe und Entsetzen fast zu atmen, in Gedanken sah ich mich nach einem
Fluchtweg um, nur um diesem Augenblick und diesem Schrecken zu entgehen.
Aber so wie die Leere mein Hirn, die
Angst mein Herz ergriffen hatte, hoffnungslos und grundlos, so erfüllte mich
gleich darauf Zorn, wie ein Blutandrang nach plötzlicher Stauung, wie Scham wegen demütigender
Furcht. Und als der Zorn ausbrach, war ich mir bewußt, daß er mir nicht nützte,
doch er war zu heftig, als daß ich ihn unterdrücken konnte. Ich war auch wütend
auf mich selbst wegen meines Kleinmuts. Was konnte er von mir wissen? Wenn er
wirklich etwas wußte, warum suchte er nicht am richtigen Ort danach? Er nagte
an der dünnsten Stelle des Bindfadens, wo er mich schutzlos glaubte.
Nachdem ich so eine Stütze in meiner
Wut und Gekränktheit gefunden hatte, gab ich mir den Anschein der Sicherheit
und Aufrichtigkeit.
»Du fragst, was ich mit Šehaga zu
tun habe«, knurrte ich böse, ich wollte mich und ihn demütigen. »Weißt du, seit
wann ich ohne Arbeit bin? Ich scharwenzele um Šehaga herum, ich ducke mich vor
ihm, ich schmeichele ihm, nur damit er mir irgendeinen Posten verschafft, nur
damit ich mich nicht zerfleische, weil ich von allen mit Fußtritten fortgejagt
werde wie ein Hund! Deshalb habe ich mit Šehaga zu tun! Ein Wunder, daß ich
nicht zu Bećir Toska und seinen Heiducken gegangen bin. Was willst du von
mir? Einen Armen zu verhöhnen ist leicht, Avdaga.«
»Warum regst du dich so auf?« fragte
er ruhig. »Was habe ich denn gesagt?«
»Darüber rege ich mich ja auf. Du
schleichst mir nach, du schnüffelst, du suchst nach etwas. Warum sagst du nicht
offen: so und so verhält sich die Sache. Ich erzähle dir alles, was ich weiß.«
»Worüber hast du mit dem alten Omer
Skakavac gesprochen?«
»Ich wollte Tabak kaufen, das weißt
du doch. Wenn du mir nicht glaubst, warum fragst du nicht ihn?«
»Ich habe ihn gefragt. Er sagt
dasselbe.«
»Siehst du! Was willst du dann?«
»Das ist ja
das Verdächtige, daß ihr dasselbe sagt.«
»Aha!« Ich lachte gequält. »Du bist
älter, Avdaga, darum verzeih mir, wenn ich dir sage: Du bist ein seltsamer
Vogel! Was für jeden anderen ein Beweis wäre, ist für dich ein
Verdachtsmoment.«
»Für mich ist alles ein
Verdachtsmoment. Auch daß du dich so aufregst«, erklärte er. »Wer nichts auf
dem Gewissen hat, antwortet ruhig. Wer aber schuldig ist, erregt sich, weil er
Angst hat.«
»Aber worin besteht meine Schuld?«
Er beeilte sich nicht mit der
Antwort, schweigend sah er mich mit seinem schweren Blick an, bedauernd,
verletzt, bekümmert, ich wußte selbst nicht wie, er schien in mir zu lesen und
betrübt zu sein, weil ich nicht gestehen wollte. Das werde ich auch nicht,
dachte ich. Ich halte aus, ich beiße die Zähne zusammen, ich warte, bis du dich
verziehst wie jedes Unwetter.
Aber wenn er sich nicht verzog?
Nachdem er sich an mir satt gesehen
hatte, als gefiele ich ihm ungemein, begann er wieder zu nagen.
»Du sagst, es sei leicht, einen
Armen zu verhöhnen. Und bei wem ist das nicht leicht?«
»Ich habe mit meinen Sorgen zu tun,
andere kümmern mich nicht.«
»Haben diese anderen einen Namen?«
»Ich wiederhole, Avdaga: Ich weiß
beim besten Willen nicht, was du willst. Du sprichst in Rätseln. Willst du mich
verhexen?«
Er beehrte mich noch einmal mit
seinem liebevollen Blick, vor dem die Vögel erstarrt wären wie vor einer
Schlange, und ging langsam die Gasse hinab.
Zum Glück, denn mir war schon so
übel, als drückte er
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