Die Festung
Unzufriedenheit, weil ich
nebensächlich geworden war, erstickte meinen Kummer, weil ich sie verloren
hatte, und hoffte, daß sie mir mit der Geburt zurückgegeben würde.
Ich bedauerte, daß wir nicht mehr
über alles sprachen, daß ich ihr nicht mehr erzählen konnte, was mir begegnet
war und was ich empfand, sei es Freude oder Angst oder Zorn. Jetzt trug ich
alles allein, für sie war es bedeutungslos, sie hörte ohne Interesse zu,
antwortete lust- und teilnahmslos. Sie überließ mich meinen Gedanken, und
vielleicht war sie überzeugt, daß ich ebenso fühlte wie sie.
Auch der Serdar Avdaga hatte nach
mir gefragt, und ich war glücklich, daß ich gerade nicht zu Hause gewesen war.
Dennoch war er sicherlich wieder zu Mahmut gegangen, wie am Vortag, und hatte
ihn fast um den Verstand gebracht.
Sie waren hinter mir her, und ich
war hinter Osman Vuk her. Er war nicht d2, die Knechte wußten nur, daß er fortgeritten
war, nichts weiter. Auch Šehaga war nicht zu Hause, sicherlich waren beide in
Geschäften unterwegs. Osman habe von einem Wollkauf gesprochen, Šehaga könne
auf der Jagd sein, denn er verließe sich in der Arbeit ganz auf Osman.
Erst am dritten Tag traf ich Osman
an und erzählte ihm von den Verhören, die der Serdar Avdaga mit mir und Mahmut
angestellt hatte. Er winkte nur ab, für ihn war es ohne Bedeutung, und er
lachte sogar, als ich sagte, daß Mahmut wegen des Kastellans unter Verdacht
stünde.
»Wieso denn Mahmut! Wer würde sich
bei so einer Sache auf Mahmut verlassen!«
»Wer war es sonst?«
»Woher soll ich das wissen?«
»Woher weißt du, daß Mahmut es nicht
war?«
»Weil ich glaube, daß er sich für so
etwas nicht eignet. Er kann im Speicher sitzen und Getreide wiegen. Da ist er
sogar besser, als ich vermutet habe. Weißt du, daß er Katzen angeschafft hat,
um die Mäuse auszurotten? Er ist närrisch, aber für diese Arbeit genau der
Richtige.«
Er lenkte ab, weil er nicht über
seine Angelegenheiten sprechen wollte, und machte auch gar kein Hehl daraus, er
ließ mich aus dem Spiel, vielleicht zu meinem Besten. Was ich nicht wußte,
konnte ich keinem verraten.
Ich sagte, ich hätte den Eindruck,
daß er und Mahmut mir alles verheimlichen wollten. Und daß mir der Serdar
Avdaga alles klargemacht habe. Er habe mir Angst eingejagt, so gut er es
verstünde. Und eben deshalb wolle ich ihn, Osman, schon seit drei Tagen
sprechen.
Er sei unterwegs gewesen, sagte er.
Wegen des Wollkaufs und Šehagas wegen, der wieder verschwunden sei und den er
gesucht habe. Vor einigen Tagen sei er gegen Morgengrauen fortgeritten, und
niemand wisse, wohin. Die Frau des Hauses sei kopflos vor Angst, sie könne
nachts nicht schlafen und warte nur auf die Heimkehr des Agas. Die Ärmste,
entweder trauere sie um ihren Sohn oder sie ängstige sich um ihren Mann. Auch
er habe Angst, bei diesem Schnee seien die Nächte kalt, und da Šehaga sich im
Trunk vergäße (er trank ja auch, um zu vergessen), könne alles mögliche
geschehen. Er sei auch so merkwürdig gewesen, habe die Geschäftsbücher und eine
Liste aller Forderungen verlangt, obwohl er, Osman, erst vor zwei Monaten
abgerechnet habe, dann habe er nach Mula Ibrahim geschickt, offenbar wollte er
sein Testament ändern. Deshalb habe Osman wie ein Gendarm auf ihn aufgepaßt,
aber dennoch sei er ihm entkommen.
»Und was wirst du jetzt tun?«
»Nichts. Warten.«
Aber noch etwas sei verdächtig.
Einen Tag vor der Flucht sei Džemal Zafranija erschienen und habe um Šehagas
Hilfe für sich und den Kadi gebeten. Der Kadi sollte zum Mufti und Zafranija
zum Stellvertreter befördert werden. Indes war das Mißgeschick mit Ramiz'
Entführung passiert, die Feinde gaben ihnen beiden die Schuld daran und würden
nun alles tun, um ihnen Hindernisse in den Weg zu legen. Wenn aber Šehaga, den
sie sehr schätzten, nur ein Wort fallenließe, würde der Wali auf ihn hören. Er
und der Kadi würden ihm bis zum Grab dankbar sein und die erwiesene Wohltat zu
honorieren wissen. Ob sie auf etwas Bestimmtes angespielt hätten, wußte Osman
nicht, aber Šehaga sei fürchterlich in Wut geraten. Er habe ihn frontal
angegriffen (was ganz ungewöhnlich sei, denn er hüte sich, jemanden ohne Notwendigkeit zu beleidigen) und
gesagt, Zafranija bitte scheinbar um Hilfe, in Wirklichkeit verlange er, daß
er sich ihnen nicht in den Weg stelle. Warum sollten sie einander etwas
vormachen? Er würde ihnen nicht helfen, er würde ihre Beförderung mit allen
Mitteln zu verhindern suchen,
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