Die Festung
denn er meine, daß sie nicht einmal den Posten
verdienten, auf dem sie säßen, geschweige denn einen höheren. Sie sollten sich
gefälligst ruhig verhalten und nicht das aufs Spiel setzen, was sie hatten,
denn Klügere und Redlichere als sie liefen ohne Arbeit herum oder fürchteten
sich vor ihnen beiden. Und sie sollten auf ihre Schritte achten, die Leute
beklagten sich über sie, und die Tränen der Armen wögen schwer. Wieso solle er
ihnen helfen? Womit hätten sie das verdient?
Osman fand es merkwürdig, daß Šehaga
das gesagt hatte, er hätte Versprechen geben und sie nicht einhalten können,
und alles wäre auf dasselbe herausgekommen, aber Šehaga war bereits wieder in
schlimmer seelischer Verfassung und hatte in Zafranija jenen fremden und
namenlosen Richter erblickt, der seinen Sohn zum Tode verurteilt hatte oder
einen anderen verurteilen würde, und er hatte nicht anders gekonnt, als seinem
Haß und Schmerz freien Lauf zu lassen. Zafranija war bleich davongewankt, und
Šehaga war zum Wali gegangen, um diese Beförderung zu verhindern, die ihn
nichts anging. Wäre er Zafranija in einem günstigeren Augenblick begegnet, als
er nicht vom Haß vergiftet war, wäre vielleicht dasselbe dabei herausgekommen,
aber auf freundlichere Art. Doch Šehaga sei nicht mehr Herr seiner selbst, und
mit zunehmendem Alter würde das immer schlimmer, er quäle sich mit dem
Gedanken, daß nichts von ihm zurückbleiben würde, nicht einmal der Name. Nun
also herrsche offener Krieg, es sei zwar gleichgültig, ob er offen oder
versteckt geführt werde, aber man müsse sich hüten, denn auch die Gegner seien
keine Engel und würden den Schlag erwidern, wenn sie es nur vermochten.
»Und du solltest dich auch hüten«,
sagte er lachend, »denn du stehst auch auf unserer Seite.«
»Haben sie deshalb Avdaga geschickt?
Damit er mich verhört?«
»Avdaga ist der Dümmste und Ehrlichste
unter ihnen. Er ist wie ein wilder Eber, der angreift, ohne Böses im Schild zu
führen. Vielleicht haben sie ihn wirklich geschickt. Sie suchen nach Beweisen,
ohne absolut sichere Beweise wagen sie sich an Šehaga nicht heran. Aber wo
wollen sie die finden.?«
»Werden Skakavac und seine Söhne
reden?«
»Wenn sie etwas damit zu tun haben,
sicher nicht. Du brauchst keine Angst zu haben.«
»Ich habe keine Angst.«
»Gott sei Dank. Angst ist der
schlimmste Verräter.«
Ein seltsamer Mensch war Osman, er
sprach ruhig über alles, er sah alles, fürchtete sich jedoch nicht, ja, er
schien diese verworrene Lage zu genießen. Seine Kühnheit und sein kalter
Verstand forderten Respekt. Er schien gepanzert durch Šehagas Macht, durch
seine eigene Furchtlosigkeit, seine überlegene Menschenverachtung, seine
dreiste Verschlagenheit, seine Rücksichtslosigkeit, seine Bereitschaft zu
handeln und zu schweigen, denn ihn interessierte die Tat, nicht die Kunde über
sie. Er war Šehaga offenbar deshalb treu, weil er seine Stärke achtete, weil er
seinen Schutz brauchte und weil Šehaga tat, was er, Osman, wollte. Vielleicht
waren sie sich auch in gewissen Dingen ähnlich, seit Jahren waren sie zusammen,
sie verbargen nichts voreinander, sie konnten es gar nicht, so gut kannten sie
einander, sie waren gleichermaßen unbarmherzig, gefährlich, fern von allem
Menschlichen, wenn auch jeder auf seine Weise, Šehaga mit glühendem Haß, Osman
mit kalter Verachtung.
Als ich mich von Osman getrennt
hatte, tief in Gedanken, bemerkte ich zu spät den Serdar Avdaga und konnte ihm
nicht mehr ausweichen. Kam er zufällig des Wegs, hatte er auf jemand anders
gewartet, hatte er gewußt, wo ich mich aufhielt, oder hatte ihn der Teufel
hierhergetrieben? Auf jeden Fall konnten wir nicht stumm aneinander vorübergehen.
Feindschaft verpflichtet ebenso wie Freundschaft. Er sah mich an wie jemand,
mit dem mich ein Geheimnis verband, oder wie ein guter Bekannter, der darauf
wartete, daß ich stehenblieb und ein Gespräch begann, ganz gleich worüber.
Vielleicht entnahm er meiner Haltung oder meiner sauren Miene, daß ich über die
Begegnung nicht gerade glücklich war und daß ich ihn schneiden könnte, wenn er
mich nicht aufhielt.
Er fragte
gespielt gleichgültig: »Wo warst du?«
»Ich gehe spazieren.«
»Du warst
bei Osman Vuk.«
»Warum
fragst du, wenn du es weißt?«
»Hast du ihm erzählt, worüber wir
uns unterhalten haben?«
»Ja.«
»Und was
sagt er? Sicher hat er gelacht. Er lacht immer.«
»Er hat gelacht und sich
gewundert, was du von mir willst.«
»Dann weiß
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