Die Festung
mir die Kehle zu, und ich bekäme keine Luft.
Mir fiel ein Märchen ein, das mir
einst meine Großmutter erzählt hatte, vom Vampir, dem schwarzen Dämon, der zu
Weihnachten den Menschen an finsteren Wegkreuzungen auflauert und ihnen,
stinkend und schwer, auf den Rücken steigt. Der Mensch schleppt ihn und wankt
unter der Last, erstickt vom Gestank, halbtot vor Angst, und der Vampir fragt:
Bin ich schwer? Der Mensch sagt stöhnend, was er denkt: Du bist schwer. Der
Vampir wird noch schwerer, und am Morgen wird der Mensch tot aufgefunden. Aber
wer antwortet: Du bist nicht schwer, der wird gerettet, denn der Vampir
verschwindet sofort, und das Opfer ist frei. Wegen dieses mutigen, dieses
trotzigen Wortes. Später hatte ich gedacht, daß dies eine Geschichte über das
Leben sei: Wenn wir jammerten, wie schwer wir es hatten, kamen wir unter die Räder; wenn wir zum Leben
sagten: Ich werde durchhalten, du zerbrichst mich nicht, dann war alles
leichter zu ertragen.
Mir hatte an einer Wegkreuzung des
Lebens der Vampir Avdaga aufgelauert und war mir auf den Rücken gestiegen. Sein
Gewicht nahm mir den Atem, als lastete ein Gebirge auf mir. Ich würde nicht
sagen, daß ich die Schwere empfand, aber ich hatte auch nicht gesagt, daß mir
leicht war. Noch mußte ich ihn schleppen, und ich wurde ihn nicht los, solange
ich nicht innerlich frei war. Ich war es noch nicht, die Angst hemmte mich.
Wenn ich auch den Grund vergaß,
Angst und Unruhe waren in mir. Was ist das? fragte ich mich. Warum? fragte ich
mich. Und dann löste sich Avdagas Bild aus dem Dunkel, als Erklärung.
Und wie war Mahmut zumute? Wenn er
nichts wußte, würde er über Avdagas Verdacht den Verstand verlieren. Wenn er
etwas wußte, wie würde er es aushalten, zu schweigen? Er würde gestehen, um
seine Qualen zu verkürzen, er würde in den Abgrund springen. Vielleicht war er
wirklich an alldem unschuldig. Wäre Osman so ruhig geblieben, wenn Mahmut
irgend etwas gewußt hätte? Mahmut war ein aufgeschlagenes Buch, das alles
preisgab, Osman jedoch hatte nur abgewinkt. Dann briet ihn der Serdar Avdaga
ohne jeden Grund auf kleinem Feuer. Ich würde zu ihm gehen, sicher war er
allein und unglücklich, und ich hatte mich benommen wie ein dummer kleiner
Junge. Selbst wenn er mir alles verheimlicht hatte, ich hätte ihn nicht verlassen
dürfen, als es ihm besonders schlimm erging.
Der Speicher war verschlossen, er
war vor seiner Angst und vor Avdaga fortgelaufen, hatte es den hungrigen Katzen
überlassen, dem unbesiegbaren Mäuseheer nachzujagen. Sein kaufmännisches Glück
war von kurzer Dauer gewesen.
Sein Nachbar, der Spezereihändler,
sagte mir, Mahmut sei in Zajkos Schenke, er habe Magenschmerzen, die er mit
Kräuterschnaps bekämpfen wolle.
Tatsächlich fand ich ihn in Zajkos
Schenke, er saß allein in einer Ecke, stützte sich auf seinen mageren Arm,
schmal geworden, verfallen, ein Bild des Jammers.
Als ich vor ihm stehenblieb, hob er
den Blick, und sein Gesicht erstrahlte.
»Oh, Gott sei Dank!« sagte er
erleichtert.
Und er stand auf, faßte mich an der
Hand, als wollte er mich an der Flucht hindern, lud mich zum Sitzen ein, wandte
keinen Blick von mir, berührte mich an der Schulter, am Ellenbogen, am
Ärmelsaum, um meine Nähe besser zu spüren.
»Ich habe nach dir gesucht. Ich war
sogar bei dir zu Hause.«
Seine Stimme war leise und kraftlos,
als habe er eine schwere Krankheit hinter sich.
»Wenn man dich in diesem
jämmerlichen Zustand sieht, könnte man glauben, daß du großen Kummer hast.«
»Das stimmt. Mir ist, als müßte ich
verrecken.«
»Man hat mir gesagt, daß du
Magenschmerzen hast und einen Kräuterschnaps trinken willst, darum bin ich hergekommen.«
Er bestellte zwei Glas Schnaps, für
sich und für mich, und trank beide.
»Für dich habe ich die Nachricht
hinterlassen, weil ich wußte, daß du nach mir suchen würdest. Und der Magen tut
mir wirklich weh. Er war wieder da.«
»Deshalb die Magenschmerzen?«
»Ja.«
Er, das war Avdaga. Sein Name durfte
nicht erwähnt werden, wie der des Leibhaftigen.
»Bei mir war er auch.«
»Neulich, als er zum erstenmal in
den Speicher kam, habe ich Durchfall bekommen, als hätte ich Stechäpfel
gegessen. Mit Kaffee und Minze habe ich es ein bißchen eingedämmt, aber wenn
ich nur an ihn denke, rumort es in meinen Därmen, und ich muß laufen.«
»Vor Angst.«
»Ja, vor Angst. Dabei sage ich mir,
ich will nicht an ihn denken! Ich denke an Geschäfte, an das Pech, das mich
immer verfolgt
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