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Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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brieten sie auf dem heißen Feuer von Šehagas Haß
und froren im Eis der allgemeinen Gleichgültigkeit, wobei sie noch auf das
Unmögliche hofften, daß sich Haß und Gleichgültigkeit zu Wohlwollen wandelten,
und dennoch dem Unvermeidlichen entgegensahen, daß sie nachgaben und sich in
die finstere Provinz zurückzogen wie in die Verbannung.
    Šehaga hatte sie wie junge Katzen
ins Wasser geworfen, ohne besonderen Anlaß, nur wegen häßlicher Dinge, die er
über sie gehört hatte, wegen ihrer Hoffart und sicher aus Haß auf alle Beamten.
Sie waren für ihn die schlimmsten Menschen auf der Welt, die schädlichsten,
die verdorbensten. Sie unterstützten jede Obrigkeit, sie waren selbst
Obrigkeit, sie säten gnaden- und rücksichtslos Angst, kalt wie Eis, scharf wie
Messer, jedem Staat treu wie Hunde, jedem einzelnen untreu wie Huren, sie
verdienten es weniger als jeder andere, daß man sie Menschen nannte. Solange es
sie gab, war auf Erden kein Glück möglich, denn sie vernichteten alles, was das
Leben lebenswert machte.
    Sie hatten Šehagas Haß und
Feindschaft nicht nur einmal zu spüren bekommen, doch immer aus heiterem
Himmel; oft vergaß er sie für lange Zeit, dann wiederum, wenn ihn seine
Trauerstimmung überkam, erinnerte er sich an sie und rächte sich unbarmherzig
an jedem beliebigen unter ihnen, sie alle waren für ihn schuldig, alle gleich,
wie die Schlangen. Jetzt waren zufällig der Kadi und sein oberster Schreiber an
der Reihe, und nichts konnte sie retten. Alle wußten, daß beide sichere Opfer
waren, sobald Šehaga ihren Namen ausgesprochen hatte.
    Der Wali hörte auf ihn, weil Šehaga
nicht auf der Rückzahlung der Schulden bestand, sondern sie als Unterpfand
seines Einflusses offenließ, und weil er sich um das Schicksal seiner Beamten,
wenn sie nicht zu seiner nächsten Umgebung gehörten, keine Sorgen machte. Was
gingen ihn ein Kadi und ein Schreiber an, die für ihn zum Hindernis geworden
waren? Solche fanden sich zu Hunderten, ein wenig besser oder ein wenig
schlechter, doch es gab nur einen Šehaga.
    Der Kadi und Zafranija stachen durch
nichts von den übrigen ab, das Unglück hatte sie nur getroffen, weil Šehaga
sich ihrer in einer seiner schwarzen Stunden erinnert hatte. Weil er sich
erinnert und mit dem Finger auf sie gezeigt hatte. Vielleicht zufällig, so wie
der Blitz in einen Baum einschlägt, der um eine Spanne höher ist als die
anderen. Vielleicht hatten sie auch den Fehler gemacht, diese stets vorhandene
Gefahr zu unterschätzen, vielleicht hatten sie nicht rechtzeitig daran gedacht,
durch ein schönes Wort oder eine gute Tat Šehagas Blick auf sich zu lenken,
damit der schreckliche Mann in einer Stunde wahnwitzigen Zorns auf einen ihrer
Freunde statt auf sie verfiel. Sie hätten diese unerwünschte Aufmerksamkeit
sogar auf den eigenen Vater abgelenkt, nur um ihr selbst zu entgehen. Aber die
Macht hatte ihnen den Verstand genommen und sie durch das Gefühl der Unverletzlichkeit
geblendet, und Šehaga war ein fernes Wölkchen am Himmel gewesen. Als sie
bemerkten, daß er eine Gewitterwand war, die Sturm verhieß, war es zu spät.
Sie hatten sich gewehrt wie Ertrinkende, die auf das Wasser einschlagen, von
dem sie in die Tiefe gerissen werden. Daß sie sich die Finger wund schrieben,
um Hilfe und Gnade zu erflehen, daß sie sogar den Grund für Šehagas Einfluß
erwähnten, der selbst dem besten Menschen zum Verhängnis werden konnte (sie
hatten dabei den Wali im Sinn, ohne ihn für einen der besten Menschen zu
halten), verschlimmerte nur ihre Lage. Alle bedrohten Beamten schrieben Briefe,
um Gerechtigkeit zu verlangen, die sie vergaßen, wenn sie sie selbst üben
sollten. Verdächtig schon deshalb, weil sie um Gnade baten, machten sie einen
noch größeren Fehler, indem sie sich selbst als Engel und andere als Teufel
bezeichneten, denn jeder wußte, daß sie keine Engel und daß jene Teufel
normalerweise wichtige Leute waren, die man tunlichst nicht so nannte, solange
sie sich nicht auf dem absteigenden Ast befanden. Dann konnte man sie sogar
Vampire nennen. Vorher nicht. Doch sobald sie stolperten, waren sie der Schande
preisgegeben. Das war eine Zeit der Schutzlosigkeit, der Einsamkeit, des
ohnmächtigen Hasses. Alles, was sie taten, war falsch, und trübe Wasser würden
sie dem Vergessen entgegentragen. Und dennoch würde sich nichts ändern, an
ihre Stelle würden neue graue Menschen treten, und kaum jemand würde bemerken,
daß es nicht die vorangegangenen waren. Aber wenn sie

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