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Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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durch ein Wunder von den
Toten auferstanden, dann wurden sie zu grausamen Ungeheuern. Das
Menschengeschlecht kannte keine schlimmeren.
    Jetzt befanden sich die beiden auf
schlüpfrigem Boden, mit sich selbst beschäftigt, entsetzt und verängstigt durch
das Unglück, das sie getroffen hatte. Und es war kein Wunder, daß sie an nichts
anderes denken konnten.
    Der Serdar Avdaga indes dachte. Ohne
Befehl, ohne Eigennutz, aus innerem Bedürfnis wie ein Wissenschaftler, ein Künstler,
ein Forscher, um der Sache willen, aus Pflichtgefühl, aus Motiven, die sich
jeder vernünftigen Erklärung entzogen. Sein Grundbesitz verwahrloste, aber er
machte selbstlos Jagd auf Hexen. Seine Hartnäckigkeit war nicht durch ein
schweres Erlebnis hervorgerufen worden, durch ein Unglück, einen Haß, der in
seinem Leben wurzelte, und darum war sie kaum begreiflich. Wenn jemand für
seine Taten gelobt werden wollte – er nicht. Wenn jemand Belohnung verlangte–
er nicht. Wenn jemand befördert werden wollte – er nicht. Sein Lohn war die
Verachtung und Angst anderer Menschen. Sein Lohn war die Befriedigung darüber,
daß er redlich tat, was er mußte. Er haßte die Menschen nicht, die er
verfolgte, er wußte nicht einmal genau, was sie verschuldet hatten. Und so dachte
ich, wie schade es sei, daß dumme Menschen gewöhnlich so hartnäckig waren.
Hätte er mit gleicher Hartnäckigkeit Erde geschaufelt, in einem Jahr hätte er die Hälfte des
Trebević abgetragen, damit er die Stadt Sarajevo nicht länger vor der
Sonne abschirmte, und die Menschen hätten sich seiner
in Dankbarkeit erinnert. Er aber betrachtete es als
nützlicher, Schuldige zu ergreifen, deren Schuld er nicht verstehen konnte, von
denen er jedoch wußte, daß sie sich gegen das Gesetz
vergangen hatten. Er war ein fanatischer Anhänger der starren Ordnung, deren
Sinn er nicht erforschte, so wie religiöse Menschen nicht nach Gottes Willen
forschen.
    Im Namen seines Glaubens machte er
fleißig Jagd auf Menschen.
    Besonders abgesehen hatte er es auf
mich und auf den armen Mahmut.
    Jeden Tag war er bei Mahmut im
Speicher, schwieg, schaute oder fragte, immer nach demselben; Mahmut zerfleischte
sich, wurde gelb und mager, unter seinen Augen hingen Tränensäcke, er schaute wie
von Sinnen, seine Hände zitterten, seine Beine schmerzten, sein Durchfall
wollte nicht besser werden, er rannte jeden
Augenblick hinaus, während Avdaga noch redete, und kehrte erschöpft zurück,
setzte sich gehorsam vor den Serdar hin und ließ die Folter weiter über sich
ergehen. Er nahm sie hin als Schicksal, als Strafe für viele Sünden, wenn auch
die Buße überschwer war.
    Aber für einige Sünden mußte auch
Avdaga büßer. Wenn er Mahmut durch seinen Verdacht tötete, dann würde ihn
dieser selbe Verdacht töten, den er nicht beweisen konnte.
    Offenbar vernachlässigte er alle
anderen Aufgaben, vergaß alle anderen Schuldigen, so daß die echten Schurken
sich nur weitere
solche Entführungen wünschen konnten, er schnüffelte einzig nach Mahmuts
Fährte. Und nach meiner. Oder ich bildete mir ein, daß nur wir ihm verblieben
waren, denn er war mir allzu lästig
geworden. Unermüdlich hielt er sich auf ein und demselben Pfad,
unterhielt sich mit ein und denselben Leuten, stellte dieselben Fragen, immer
in der Hoffnung, in einem Augenblick des
Glücks, da die Sterne günstig standen, da Gott einen unter uns erleuchtete, die
richtige Masche in die Hand zu bekommen, von der aus sich alles leicht
auftrennen ließ. Er suchte nach einem echten Beweis.
    Nachdem er die Festung besucht, mit
dem ehemaligen Kastellan, dann mit der Familie Skakavac und mit Mahmut
gesprochen hatte, pflegte er mit mir zu sprechen.
    Er kam nicht immer zu mir nach
Hause. Manchmal suchte er beispielsweise das Kaffeehaus auf und setzte sich mir
gegenüber, immer allein, immer schweigend, immer bedrückt, und er sah mich
unverwandt an, als hoffte er etwas an mir zu entdecken, was er benötigte. Oder
ich spürte ihn plötzlich hinter mir, bei Tageslicht oder im Finsteren, wie
meinen Schatten, wie einen unglücklich Verliebten. Manchmal blieb ich stehen,
um ihn herankommen zu lassen, mich störte diese Begleitung in immer gleichem
Abstand, als schleppte ich ein Gewicht hinter mir her, ich zog das Gespräch
vor, wenn es auch qualvoll war. Doch auch er blieb stehen, wartete ruhig, bis
ich meinen Weg fortsetzte, und ging mir weiter nach. Vor meinem Hoftor pflegte
er stehenzubleiben, danach hörte ich, wie er langsam vor dem Haus auf und

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