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Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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ab
spazierte und dann fortging.
    Zuweilen näherte er sich mir, und
dann schwiegen oder redeten wir. Aber niemals sprach er über etwas anderes als
über die Entführung. Mit der Zeit fand ich es normal, daß er mich verfolgte und
ausfragte, aber an die immer gleichen Worte, die immer gleichen Fragen, den
immer gleichen Gesichtsausdruck konnte ich mich einfach nicht gewöhnen. Das ist
eine Krankheit, dachte ich, das ist Besessenheit, das ist Wahnsinn, er denkt an
nichts anderes mehr, er träumt davon. So wie ich von ihm und seinem traurigen
schweren Blick träumte. Vielleicht war das seine Methode, die Opfer zu
zermürben, aber er gewann damit keinen Vorsprung, denn ich war vorbereitet.
Leicht fiel mir das allerdings nicht.
    Ich verließ das Haus zu den
verschiedensten Stunden und auf den verschiedensten Wegen, doch ich wurde ihn
nicht los. Er spürte mich auf, als hinterließe ich eine Duftspur. Entweder er
trat mir auf der Straße entgegen, oder er lauerte mir aus dem Hinterhalt auf
und fragte düster: »Warum warst du bei Omer Skakavac? Worüber habt ihr
gesprochen?«
    Ich gab auf diese gleichbleibende
Frage immer die gleiche Antwort, doch er wurde nicht böse. Er schaute mich an,
als wunderte er sich, daß ich so halsstarrig ein und dasselbe antwortete, oder
er senkte den Blick, als schämte er sich meiner Lügen. Und er verließ mich ohne
Gruß.
    Ich wurde ein Bedürfnis für ihn und
er mir zur Gewohnheit, und ich war unruhig, wenn ich ihn einen Tag lang nicht
sah. Wohin war mein Schatten verschwunden? Hatte er sich etwas Neues
ausgedacht? Seine wahnwitzige Ausdauer war nicht ungefährlich, doch ich hatte
mich daran gewöhnt, und die Wiederholung derselben Worte und Verhaltensweisen,
die bisher ohne Folgen geblieben war, beruhigte mich. Zwischen uns hatte sich
sogar eine merkwürdig duldsame Beziehung herausgebildet, keiner von uns haßte
den anderen. Da er mich jedoch ständig im Auge behielt, wuchs meine Unruhe. Ein
brennender Holzklotz schien mir im Magen zu liegen, schlimme Vorahnungen
quälten mich.
    Als er mir dann auch noch
eröffnete, er wisse alles über mich und die Familie Skakavac, begann sich die
Stadt um mich zu drehen.
    Hatte ihm das jemand gesagt?
    Ich antwortete, mir sei das völlig
neu und ich könne mich nur wundern, wie jemand imstande sei, solche Lügen zu
erfinden, doch dann dachte ich entsetzt, daß ich mich fast verraten hätte,
verraten durch Angst, durch ein ungeschicktes Wort, plötzliche Ermattung und
Müdigkeit, wie sie wahrscheinlich eintrat, wenn man den Kampf aufgab. Indessen
war das nur eine nachträglich entstellte Erinnerung, neu durchlebte Angst als
Folge der völligen Überraschung, vorübergehende Atemnot, weil er seine
eingefahrene Methode verändert hatte.
    Ich paßte mich sofort an, weil ich
mich nicht ergeben wollte.
    Aber wieviel wußte er wirklich?
    Er ließ mich lange im ungewissen,
aber dann trat er mir eines Morgens auf der Straße entgegen und forderte mich
auf mitzukommen. Wir gingen durch das Geschäftsviertel und sprachen kein Wort,
er, weil er nicht wollte, ich, weil ich es nicht wagte. Sein Schweigen
schüchterte mich ein, und ich fürchtete, daß er meine Angst spüren
könnte, wenn ich fragte, wohin er mich führte und warum, oder wenn ich ein beliebiges Gespräch anfing. Mich
beunruhigte sein neuer Schachzug, hinter dem sich eine unbekannte Absicht verbarg.
    Mir wurde
eiskalt bei dem Gedanken, daß er mich in die Festung bringen könnte, und ich
war erleichtert, als er mich in sein Zimmer mitnahm. Hier war ich schon früher
einmal gewesen. Der Raum war genau wie er, lastend, stumm, abweisend,
gefährlich, nur daß er mir nun noch rauher und kälter erschien.
    Er nahm mir gegenüber Platz und sah
lange seine gefalteten Hände an. Dann sagte er ohne Einleitung, ohne
überflüssige Worte, er wisse alles und verarge es mir, daß ich nicht gestehen
wolle. Ich sei an einem Verbrechen beteiligt, und er werde mich dem Gericht
übergeben; Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit von meiner Seite werde er jedoch zu
schätzen wissen. (Mir wäre es lieber gewesen, wenn er mich weder geschätzt noch
dem Gericht übergeben hätte.)
    Als ich fragte, worin mein
Verbrechen bestünde, von dem ich keine Ahnung hätte, schüttelte er vorwurfsvoll
den Kopf und erzählte mir die ganze Geschichte der Entführung.
    Mir wurden die Knie weich, mein
Magen verkrampfte sich wie bei Mahmut.
    Osman Vuk, so sagte er, habe allein
oder mit Šehagas Wissen – das letztere sei wahrscheinlicher – die

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