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Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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daß er auf List und Vorsicht verzichten konnte? Er hatte die
Wahrheit herausbekommen, er würde auch Gerechtigkeit durchsetzen. Seine
Gerechtigkeit. Er war gefährlich, weil er unnachgiebig und überzeugt war, die
Welt zu retten. Ein rastloser Spürhund, der sich und den anderen das Letzte
abverlangte, grausam, aber nicht niederträchtig, beschränkt, aber willensstark,
redlich auf seine Art, ohne Heuchelei, uneigennützig, sauber in seiner
unabhängigen Ergebenheit und schrecklich, gerade weil er so war. Er wußte
nicht, welcher Sache er diente, aber er diente in Ehren. Er wußte nicht,
weshalb er bestrafte, aber er bestrafte hart. Vielleicht hatte er sich an ein
Gesetz gewöhnt, aber er würde es kaum bemerken, wenn ein anderes in Kraft trat.
Er war vor Urzeiten geboren worden, und er wurde zu jeder Zeit neu geboren, er
war ewig. Auch seine Leidenschaft war durch die Jahrhunderte gleich geblieben: die
Ungehorsamen zu jagen, und wenn diese Ungehorsamen an die Macht kamen, andere
Ungehorsame zu verfolgen. Ich aber fragte mich seinetwegen: Ist ein Mensch
ehrlich oder ehrlos, wenn er sich schlechter Mittel bedient, um gute Ziele zu
erreichen?
    Über all das dachte ich später nach,
in diesem Augenblick hatte ich nur Angst, sehr bestimmte und sehr unbestimmte.
Wenn Avdaga fand, wonach er suchte, und er würde es sicher finden, dann war
meine Haut so wohlfeil wie ein Schafspelz. Aber
über diese unmittelbare Gefahr hinaus war ich von unabsehbaren Drohungen
umgeben wie von Nebel und Finsternis. Als wären Hunderte von Schatten und Augenpaaren
um mich, die ich nicht ertragen und denen ich nicht entkommen konnte. Der Kreis
wurde immer enger, ihre Nähe immer belastender, ich drehte mich hilflos um mich
selbst und sah weder Ausweg noch Rettung. Und all diese zahllosen Augenpaare
und Schatten gehörten Avdaga, er hatte sich verhundertfacht, war zu einem Heer
von Gespenstern geworden. Und dieses Gefühl der Hilflosigkeit quälte mich mehr
als das, was ich wußte, worüber ich nachdenken konnte. Dieses Verhängnis war
nicht in Gedanken zu fassen, man schleppte es wie ein Gewicht, wie eine Krankheit.
    Dieses Gefühl der Panik kannte ich
aus dem Krieg, wenn ich im Dunkeln auf ebenem Feld oder in dichtem Wald keinen
einzigen Menschen sah, niemandes Stimme hörte und dennoch rings von Gefahr
umgeben war, deren Gestalt, deren Nähe, deren Absicht nicht erkennbar und die
deshalb noch schrecklicher war. Vor solchen undeutlichen Ahnungen versagte der
Verstand, er war machtlos wie das Auge in völliger Finsternis.
    Und wer weiß, wie tief ich im Morast
der Feigheit versunken wäre, hätte ich nicht Ekel vor mir selbst empfunden und
auf diese weibische Schwäche gespuckt. Die eingebildete Angst mochte der
Teufel holen. Ich war ein Mensch, kein lebloses Ziel, das auf den Schuß
wartete, ich wollte das Unglück nicht auf den Knien erwarten. Um meinetwillen
nicht, denn ich hätte mich geschämt, um der anderen willen nicht, die an mich
glaubten, denn sie wären enttäuscht gewesen.
    Ich hatte wenig getan, doch ich
hatte es bewußt getan. Sollte ich auch dieses wenige beschmutzen?
    Ich wollte nicht zittern, ich wollte
mich nicht fürchten.
    Mußte es überhaupt zum Schlimmsten kommen?
    Avdaga wußte alles, unternahm jedoch
nichts (so überlegte ich), und er versuchte mich zu einem Geständnis zu
bewegen, damit ich ihm die Arbeit erleichterte. Nun gut, ich würde nicht
gestehen, niemand würde gestehen, und Avdaga würde mich bis an sein seliges
Ende verfolgen und seine Frage immer leiser stellen. Er würde an seinen Qualen
sterben, nicht ich unter der Folter.
    Oder Šehaga würde etwas tun, um ihm
Einhalt zu gebieten und seinen Plan zu vereiteln. Er würde sich seiner
erinnern, wenn in seinem Herzen der Haß anschwoll wie das Gift in einer
Hornviper, und so würde die Rache eines anderen den Serdar und unsere Schuld
aus der Welt schaffen.
    Wenn ich die Gefahr so auf der Erde,
unter Menschen ansiedelte, sah ich ihr mutiger ins Auge. Sie war nicht unbedeutend,
aber überschaubar, ich wußte, wie weit sie reichte und wodurch sie mich
bedrohte, doch ich fühlte mich nicht mehr auf verlorenem Posten.
    Avdaga kämpfte darum, mich zu
vernichten, ich würde darum kämpfen, mit heiler Haut davonzukommen. Sie war
nicht viel wert, aber ich hatte nur die eine und konnte sie gut gebrauchen,
während sie ihm nichts nützte. Er bereitete meinen Untergang vor, ich wünschte
ihm lediglich Mißerfolg, und in Anbetracht meiner geringen und seiner

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