Die Festung
Entführung
vorbereitet. Er wisse nicht, warum sie es getan hätten; vielleicht weil sie so
dächten wie Ramiz oder weil sie der Obrigkeit eins auswischen wollten – all
das sei weder wichtig, noch ginge es ihn etwas an. Sie hätten den alten Omer
und seine drei Söhne vermutlich für gutes Geld gedungen, Ramiz zu holen. Mahmut
hätten sie zum Kastellan geschickt, mit Geld, damit er die Familie Skakavac in
die Festung einließ. Die Familie sei durch das geöffnete Tor hineingegangen,
hätte die Wächter verprügelt und Ramiz zu Pferd in unbekannter Richtung
verbracht. In bisher unbekannter, denn Ramiz würde sich schon selbst verraten,
er könne keine Ruhe geben. Nach der Entführung sei Omers jüngster Sohn in
Zajkos Schenke abgestiegen, habe sich betrunken und zu reden begonnen. Er hätte
geprahlt, daß er und noch jemand wisse, wer Ramiz entführt habe. Der Lastträger
Mujo Dušica erinnere sich nicht genau, von wem der junge Mann gesprochen habe,
aber auf Befragen, ob es nicht Osman Vuk gewesen sei, habe er gesagt, das könne
zutreffen. Zajko habe Osman Bescheid gegeben, und Osman habe mich zum alten
Skakavac geschickt, damit ich ihm von seinem Sohn berichtete. Die beiden jungen Skakavac seien sofort
zu Pferd aufgebrochen und hätten ihren Bruder nach Hause geholt. Er wisse
nicht, was sich unter ihnen zugetragen habe, gewiß sei nur, daß sie ihn
erschlagen hätten, wir alle seien bei der Totenfeier gewesen.
Ich hörte die wahrhaftige Geschichte
der Entführung und traute meinen Ohren nicht. Bisweilen gab es eine unwichtige
Lücke, aber uns allen war der richtige Ort zugewiesen.
Zu diesem Ergebnis also war er
gekommen, indem er Stück für Stück zusammengetragen hatte.
»Ist es so?« fragte er fast
fröhlich.
»Ich weiß nicht«, antwortete ich.
Mir dröhnte der Kopf. »Von mir kann ich nur sagen: So ist es nicht. Hundertmal
habe ich dir gesagt, daß ich nichts weiß.«
»Und hundertmal hast du gelogen.«
»Weißt du, Avdaga, es geht mich ja
nichts an, aber deine Geschichte kommt mir sehr merkwürdig vor. Der Lastträger
erinnert sich nicht genau, niemand weiß etwas, Zeugen gibt es nicht, du aber
redest, als wärst du überall dabeigewesen.«
»Ich bin seit zwanzig Jahren im
Geschäft. Ich kenne die Menschen und weiß, wozu sie fähig sind.«
»Na gut, Avdaga«, sagte ich wütend,
»warum übergibst du uns nicht dem Gericht, wenn du alles weißt?«
Er hob die dichten Brauen, wieder
mißgestimmt.
»Ich weiß alles, aber ich kann euch
noch nicht an den Kragen. Ich habe keine richtigen Beweise. Die
Skakavac-Familie redet nicht. Mujo Dušica erinnert sich nicht genau. Mahmut
verstummt, wenn ich auf den Kastellan anspiele. Du hältst hinter dem Berg. Und
auch der Kadi kann Šehaga im Augenblick nicht angreifen – noch hofft er, daß er
nicht aus Sarajevo verjagt wird. Aber ist es recht, daß ein Verbrechen
ungesühnt bleibt?«
»Ist dir bekannt, was Ramiz getan
hat?«
»Mir ist bekannt, daß er gegen die
Obrigkeit gehetzt hat und dafür eingesperrt worden ist. Alles andere geht mich
nichts an. Und ich weiß, wer ihn aus der Festung geholt hat. Das ist ein
Verbrechen. Und wenn Verbrechen nicht bestraft werden, dann geht die Welt
unter. Ich habe nichts gegen euch persönlich, sondern gegen das, was ihr getan
habt. Und ich werde Beweise finden. Und dann helfe ich dir nicht mehr. So wie
du mir nicht geholfen hast. Ich hätte dem Kadi sagen können, daß du von nichts
gewußt und nur als blinder Kurier gedient hast. Das werde ich nicht tun.«
»Tu, was dir dein Gewissen befiehlt.
Ich kann nicht lügen.«
»Ich sag dir eines: Bald habe ich
Beweise in der Hand. Ein Sohn von Omer Skakavac ist fast bereit zu sprechen.
Und wenn der Kadi zustimmt, daß wir sie alle drei einsperren, und dann Mahmut
und dich, dann erfahren wir binnen kurzem alles. Und er wird zustimmen, denn
das kann ihm nur nützen.«
»Ich habe dir schon einmal gesagt:
Es ist leicht, einen Armen zu verhöhnen, Avdaga.«
»Wenn die Armen ehrlich Rede und
Antwort stehen, und das werden sie, wie ich hoffe, dann kommt keiner ungestraft
davon. Keiner! Ich weiß, worauf du anspielst, vor Namen und Ämtern habe ich
keine Angst. Mir kommt es nur auf die Gerechtigkeit an.«
»Hoffentlich tust du kein Unrecht,
indem du Recht forderst!«
Er antwortete nicht, sondern gab mir
nur ein Zeichen, daß ich gehen konnte.
Meine Füße waren wie aus Holz und
stolperten auf dem holprigen Pflaster. Seine Offenheit hatte mich bestürzt. War
er denn so sicher,
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