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Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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Wunsch
verspüren können, seinen Durchfall loszuwerden und sich den Serdar Avdaga vom
Hals zu schaffen, indem er ihm den wahren Schuldigen preisgab.
    Ich wußte nicht, ob es richtig war,
ihm die unverdiente Last abzunehmen. Von meiner Entscheidung hing es also ab,
ob Mahmut oder der Fähnrich beschuldigt wurde. Wenn ich redete, würde ich
Mahmut von der Qual erlösen, unter der er zusammenzubrechen drohte, aber ich würde
einen anderen unglücklichen Menschen ins Verderben stürzen. Was war besser?
Oder was war schlimmer? Wenn ich Mahmut die Wahrheit sagte und er sie nicht für
sich behielt, dann bekam Avdaga den Beweis in die Hand, nach dem er schon lange
forschte, und er würde beginnen, das Knäuel zu entwirren. Der Fähnrich würde
unter der Folter sterben oder gestehen. Gott allein wußte, wie viele Menschen
das den Kopf kosten konnte. So wurde Mahmut mit uns allen in Verbindung
gebracht, zwar ungerechterweise, doch die Gefahr war kleiner. Mochte es
bleiben, wie es war. Mahmut wußte nichts und konnte nichts verraten. Alles
andere konnte nur schlimmer sein.
    Aber dieser Entschluß brachte mir
keine Ruhe. So vernünftig auch war, was ich beschlossen hatte, es war nicht
recht. Ich verlängerte die Qualen eines Unschuldigen und brach damit vielleicht
den Stab über ihn. Ich tröstete mich damit, daß ich die Wahrheit über ihn sagen
würde, wenn alles ans Licht kam – vielleicht könnte ich ihn damit in letzter
Sekunde retten –, aber das verringerte mein Schuldbewußtsein gegenüber dem
Freund nicht.
    Es war schwer, über menschliche
Schicksale zu entscheiden. Ich war unfähig, solcherart Gerechtigkeit zu üben,
weil dabei immer jemandem Unrecht widerfuhr. Niemals wollte ich Richter werden,
denn Gerechtigkeit für jeden gab es nicht.
    Dennoch war ich gezwungen zu
richten, und ich kam mir vor wie aussätzig. Schuldig vor mir selbst und vor
anderen.
    Auch Osmans Reaktion auf die
Nachricht, daß Avdaga alles wußte, machte mich stutzig. Er hatte sorglos
gelacht und alles Gottes Gnade überlassen. Im Schutz von Šehagas breitem Rücken
hatte er es leicht, auf Gottes Gnade zu vertrauen, an die er ebensowenig
glaubte wie ich. Wollte er demnach uns andere unserem Schicksal anheimgeben?
Soviel Rücksichtslosigkeit hielt ich für unmöglich, obwohl man bei ihm auf
alles gefaßt sein konnte. Aber andererseits wäre ~s leichtsinnig
gewesen, denn wenn die ganze Wahrheit ans Licht kam, würde dies weder ihm noch
Šehaga bekommen.
    Warum also hatte er meine Geschichte
so wenig ernst genommen, er wußte doch selbst, daß Avdaga immer gefährlicher
wurde?
    Ich verbrachte drei schwere Tage, in
denen ich Tijana nichts sagte. Wie alle war auch ich zu einer belagerten und
verschlossenen, düsteren und stummen Festung geworden. Was hätte ich ihr sagen
können? Ich hätte sie nur unnötig erschreckt. Mit ihr zusammen zu seufzen hätte
mir nicht geholfen. Mochte wenigstens sie verschont bleiben.
    Ich bemühte mich zwar, in ihrer
Gegenwart fröhlich und sorglos zu erscheinen wie immer, aber es gelang mir
nicht, sie zu täuschen, wie immer. Sei es, weil ich zu krampfhaft lachte oder
weil ich mich nicht verstellen konnte, jedenfalls bemerkte sie, daß ich nicht
so war wie sonst.
    »Was hast du?« fragte sie besorgt.
    »Was sollte ich denn haben? Nichts.«
    Beim erstenmal gab sie sich mit
dieser Antwort zufrieden, doch am Abend wollte sie mehr wissen.
    »Warum sagst du mir nicht, was du
hast? Du verschweigst mir etwas.«
    »Nein. Was sollte ich denn
verschweigen?«
    »Vielleicht hast du dich in eine
andere verliebt und willst es mir aus Mitleid nicht sagen?«
    Führten die Frauen alles auf die
Liebe zurück?
    Ich lachte gequält. Meine neue Liebe
hieß Serdar Avdaga!
    »Ich habe keine Geliebte. Laß mich
bloß zufrieden.«
    »Wenn es geschehen ist, sag es
ruhig. Klarheit ist mir lieber als Mißtrauen. Wundern würde es mich nicht, so
häßlich, wie ich geworden bin.«
    »Du bist schöner geworden, nicht
häßlich. Und ich habe dich nie so geliebt wie jetzt.«
    Ich sagte es erregt, denn es war die
Wahrheit. Sie war meine einzige Stütze, aber mit mir war auch sie bedroht. Was
sollte aus ihr werden, wenn ich eingesperrt wurde?
    Sie glaubte
mir und beruhigte sich.
    »Was ist es
dann? Irgend etwas hast du doch.«
    »Ich mache mir Sorgen, weil ich
keine Arbeit finde. Ich liege auf der faulen Haut wie der letzte Landstreicher.
Wie lange sollen wir das durchhalten?«
    Diese Erklärung leuchtete ihr ein,
sie warf mir nur unbekümmert Kleinmut

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