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Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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die wurden geladen, diese Helden,
die keine waren. Wie viele Opfer forderte eine Niederlage, aber wie viele erst
ein Sieg! Sollten sie doch diesen traurigen Ruhm genießen und sich beschmutzen.
Ich hatte bisher ohne sie gelebt, ich konnte es auch künftig, und zwar viel
besser als mit ihnen.
    Fast der ganze Winter war vergangen,
als an einem Donnerstag Mula Ibrahim atemlos, erregt, fröhlich den Laden
betrat.
    »Er hat uns eingeladen!«
    »Wer?«
    »Hadschi Duhotina! Für morgen abend,
zur Gesellschaft.«
    »Geh nur, ich will nicht.«
    Er blieb mitten im Laden stehen, mit
offenem Hemd, erhitzt, entsetzt.
    »Du willst nicht? Wieso willst du
nicht?«
    »Nur so. Ich habe keine Lust.«
    »Warte doch, bitte. Du hast mich
sicher nicht verstanden. Hadschi Duhotina hat uns eingeladen. Zur Abendgesellschaft.«
    »Ich habe es gehört und verstanden,
aber ich will nicht. Was habe ich dort zu suchen?«
    »Was du dort zu suchen hast?
Herrgott!«
    All seine Beredsamkeit war
verschwunden, seine Hartnäckigkeit, seine vernünftigen Gründe. Er setzte sich
und sah mich ungliubig an.
    »Du willst also nicht. Aber wir sind
eingeladen.«
    »Niemand wird bemerken, daß ich
nicht da bin.«
    »Weißt du denn, was die Leute
anstellen, um dort Einlaß zu erhalten?«
    »Nein, und es kümmert mich nicht.
Ich würde nichts anstellen.«
    »Du machst einen Fehler, einen
großen Fehler.«
    »Bin ich dir hier im Weg?«
    »Nein, Gott bewahre. Ich möchte, daß
es dir besser geht. Du willst doch nicht dein Leben lang ein armer Mann bleiben?«
    »Ehrlich gesagt, das ist mir
gleichgültig.«
    »Ich weiß nicht, was ich sagen soll.
So eine Gelegenheit kommt nie wieder. Sie werden verärgert sein.«
    Er sah traurig und ängstlich aus.
Traurig meinetwegen, weil ich seine Hilfe nicht annehmen wollte, ängstlich
ihretwegen, weil ich ihre Einladung nicht annehmen wollte. Ich schämte mich
ein wenig, dachte: Wie viele Worte hat er verschwenden müssen, wie viele Gründe
erfinden, wie oft ein liebenswürdiges Lächeln verschenken, um mir die schwer
zugängliche Festung zu öffnen. Und wieviel Zeit hat er verloren, um
meinetwegen vom einen zum anderen zu laufen. Ich aber weise grob und undankbar
all seine Sorge und all seinen guten Willen zurück.
    Deshalb sagte ich weicher, zu meiner
Rechtfertigung: »Wir werden uns dort langweilen. Ich kenne niemanden, ich weiß
nicht einmal, worüber man sich mit solchen Leuten unterhält.«
    »Schweig und hör zu. Das ist
vielleicht das beste. Also, kommst du mit?«
    Er lebte auf, seine gute Laune
kehrte wieder. Ich konnte ihn nicht noch einmal enttäuschen.
    Aber dann sah er mich mißtrauisch
an:
    »Bist du beleidigt, weil sie dich
nicht früher eingeladen haben?«
    »Nein. Es tut mir leid, daß du dich
meinetwegen so erniedrigt hast. Das war es nicht wert.«
    »Ich habe mich nicht erniedrigt.
Aber du bist beleidigt, ich kenne
dich. Aus dummer Eitelkeit wolltest du so eine Gelegenheit verpassen!«
    Ich hatte wirklich keine Lust mehr,
zu dieser verfluchten Gesellschaft zu gehen. Noch war ich ein Heimkehrer aus
Chotin, obwohl ich eine Frau hatte und wir ein Kind erwarteten und obwohl ich
ihretwegen etwas erhoffte, was nicht bittere Armut war. Noch waren die
undurchdringlichen Nebel von Chotin in mir und bisweilen tiefe Trauer um die
Toten. Jetzt aber sollte ich plötzlich listig werden und mich vor wer weiß wem
bücken, für einen Posten, der mir ein besseres Leben sicherte. Wie würde ich
danach mit meiner Scham fertig werden? Ich würde ständig Gestank spüren. Ich
war arm, aber kein Bettler. Der ersten Einladung hatte ich zugestimmt, ohne sie
für eine Ehre oder ein Vorrecht zu halten. Aber als sie mich übergingen, hatte
ich sie abgeschrieben. Ich empfand es als Demütigung und Beleidigung (Mula
Ibrahim hatte es genau erraten) und zahlte es ihnen mit Verachtung heim, die
meinen Stolz retten sollte.
    Nun aber, vor der Gewißheit des
morgigen Tages, begann ich mit meinem Gewissen zu verhandeln. Ich würde mich
vor niemandem erniedrigen, aber wenn sich eine Gelegenheit bot, war es töricht,
sie nicht zu nutzen. Ich wußte nicht, wie sich diese Gelegenheit zeigen sollte,
aber ich überließ es dem Zufall, für mein Glück zu sorgen. Wenn er nicht
eintraf, würde alles beim alten bleiben, und es war gut. Ich hoffte sogar, daß
niemand mich bemerken und daß ich wieder in meine gewohnte Bahn zurückkehren
würde. Wie und worüber sollte ich mit diesen Leuten sprechen? Seit Chotin
verstand ich mich nur darauf, ins Wasser zu

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