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Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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starren, den Spatzen zuzuhören und
für unglückliche Menschen Beschwerden und Klagen zu schreiben. Besonders kluge
und angenehme Worte hatte ich nicht, für niemanden. Außer für Tijana, mit der
ich nachts leise und lange Gespräche führte, die ich am Morgen nicht hätte
wiederholen können, so sehr waren sie eine bloße Frucht unserer Nächte, und sie
entsprangen so sehr unserem Zusammenwachsen, daß das Tageslicht sie zu einer
angenehmen, aber undeutlichen Erinnerung machte, die verschwand, um in der
folgenden Nacht wieder zum Vorschein zu kommen, wie ein unterirdischer Fluß.
    Aber was für Worte würde ich für
jene Leute finden?
    Abends saß ich mit Tijana in unserem
kleinen Zimmer ohne Flur und andere verborgene Räumlichkeiten, die ich nie
besitzen würde, wenn ich ablehnte. Es hatte ein paar Vorzüge und zahllose
Mängel. Es war billig, wir waren für uns, und da es über der Bäckerei lag, war
es im Winter immer warm, und jeden Morgen weckte uns der Duft von frischem
Brot. Im Sommer war es allerdings lästig, wenn uns die Sonne und der heiße
Backofen einheizten und die Küchenschaben frei herumliefen, als wären wir gar
nicht vorhanden. Über die Vorzüge freuten wir uns, und die Hitze ertrugen wir
geduldig, indem wir Tür und Fenster öffneten. Die Küchenschaben vertrieben wir
mit Kräutern, die Tijana in der Baščaršija kaufte. Oder wir fanden uns mit
ihrer Gegenwart ab. Mich hätten sie nicht gestört, hätte sie sich nicht
geekelt, besonders nachts, wenn sie über den Fußboden und das Bett krochen.
Manchmal erwachte ich und sah, daß sie im Bett saß, die Arme um die angezogenen
Beine geschlungen.
    »Was hast du?«
    »Nichts.«
    »Tut dir etwas weh?«
    »Nein. Schlaf nur.«
    »Du bist seltsam heute abend.«
    »Heute abend bin ich glücklich.«
    Ich begnügte mich mit dieser
Erklärung, weil ich müde war, aber tags darauf fragte ich mich, ob man auch vor
Glück keinen Schlaf finden kann.
    Mir ging es in diesem heißen Zimmer
besser als bei Chotin, ihr schlechter als im Elternhaus. Sie wollte es
meinetwegen nicht zugeben. Wir sprachen nicht vernünftig miteinander, es hätte
mir nicht gefallen, auch wenn wir es gekonnt hätten, mir lag daran, daß wir
einander aufmerksam begegneten, und das gelang uns ohne Mühe. Bis wir in Zorn
gerieten, wegen einer Kleinigkeit, einer Dummheit, aus einem Anlaß, den wir uns
nicht einmal merken konnten.
    Ich sagte ihr, daß ich am nächsten
Tag zur Abendgesellschaft bei Hadschi Duhotina gehen würde, erzählte auch, daß
ich zuerst abgelehnt, dann aber Mula Ibrahim zuliebe zugesagt hätte.
    »Warum solltest du nicht hingehen?
Du wirst Menschen treffen,
dich unterhalten. Was ist daran schlecht? Wirst du lange bleiben?«
    Sie konnte nicht lügen. In meinem
Leben bin ich niemandem begegnet, der so unfähig gewesen wäre, seine Gedanken zu
verheimlichen. Sie verriet sich durch ihre Stimme, durch ihren
Gesichtsausdruck, selbst wenn sie nichts direkt aussprach.
    Sie hatte
zu schnell zugestimmt. Sie redete mir sogar zu.
    Warum?
    Ich fragte:
»Du möchtest nicht, daß ich hingehe?«
    Sie lachte.
    »Nein. Ich
möchte nie, daß du fort bist.«
    »Vielleicht
möchtest du auch nicht, daß ich zur Arbeit gehe?«
    »Natürlich.«
    Jetzt
begann auch ich zu lachen. Sie war ganz närrisch.
    »Wer kann denn
so leben?«
    »Ich würde
gern so leben.«
    »Also gut:
Willst du, daß ich nicht zu der Gesellschaft gehe?«
    »Nein. Du
wirst auf jeden Fall hingehen. Später könntest du glauben, daß du etwas
versäumt hast.«
    »Warum bist
du jetzt böse?«
    »Ich bin
nicht böse.«
    Dann fügte
sie hinzu, als müßte sie sich verteidigen: »Ich bin ein bißchen unruhig. Das
kommt vielleicht von meinem Zustand.«
    Diese kleine List, mit der sie ihren
Mißmut zu bemänteln und mich zu beschwichtigen suchte, lenkte meine
Aufmerksamkeit auf jenes dritte Wesen, das unsichtbar anwesend war, das uns
schon seit Monaten in Spannung hielt und uns zwang, es in unser Leben
einzubeziehen, uns in unserem Tun und Wollen nach ihm zu richten.
    Seinetwegen und ihretwegen mußte ich
dieses Zimmer aufgeben. Seinetwegen und ihretwegen würde ich zu dieser
verteufelten Gesellschaft gehen. Und ich würde vernünftig und vorsichtig sein.
    Ich legte die Hand auf ihren Leib.
    Auf der Gasse verhallten die
Stimmen, unter uns wurden Scheite in den großen Backofen geworfen, die
Küchenscha ben verhielten sich noch ruhig in ihren Löchern und warteten, daß
wir die Kerze löschten. Und ich hielt meine Hand auf der

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