Die Festung
straffen Wölbung des
Leibes, auf dem geschützten Körper des kleinen Menschen, der in diesem
sichersten und behaglichsten Schlupfwinkel der Welt bereits lebte. Ich wollte
der Frau, deren Körper diese unbekannte Kaulquappe entstellte, ein gutes Wort
sagen, ich wollte etwas Gutes über diese Kaulquappe denken, die sein würde, was
ich nicht war. Ich wollte, aber ich konnte nicht.
Wir waren zu dritt, auf der ganzen
Welt nur wir drei: meine Finger, ihr Körper und sein regelmäßiger Puls. Es war
unwichtig, was draußen geschah, es war unwichtig, was morgen sein würde,
wichtig war diese Stunde der Seligkeit ohne Gedanken. Würde es mich aus dem
Haus jagen, dieses Dritte, so wie der kranke Mustafa Puhovac von seinem Sohn
verstoßen worden war? Oder würden wir aufeinander stolz sein? Oder würden wir
einander dulden wie die meisten? In diesem Augenblick war es ohne Bedeutung.
Tausende würden solche glücklichen
Augenblicke erleben, aber keiner würde sein wie dieser. Tausende würden ihrer
Liebe begegnen, aber diese würde es nie wieder geben. Nie: die einzige
Endlichkeit.
Zum erstenmal wußte ich, was Glück
war, ich spürte es, sah es, roch es.
Die ganze Welt und das ganze
Weltall, wir drei. Außer uns existierte niemand.
Das Glück.
Konnte ich es festhalten?
Ich wollte
ihr sagen: meine Geliebte, so sehr überflutete mich Zärtlichkeit, aber sie
schlief und lächelte im Traum. »Schlaf auch du«, sagte ich zu jenem Dritten und
löschte die Kerze. Die Küchenschaben hatten sicher ungeduldig darauf gewartet,
daß ich sie ins Zimmer ließ. Vielleicht kamen sie zu einem Ritual zu spät.
Draußen war die Frühlingsnacht
voller Mondschein. Ich aber konnte nicht einschlafen vor Glück, für das ich
keine Erklärung verlangte. Und ich wunderte mich nicht darüber.
Wie sollte es auch anders sein?
Feindesland
Niemand kann einem soviel Leid antun, wie
man es sich selbst zufügt.
Was mußte ich zu dieser Gesellschaft
gehen, auf der ich mich so geben würde, wie ich nicht war, oder so, wie ich
war, aber nicht gesehen werden wollte: dumm, langweilig, nichtsnutzig. Das
zeigte man besser überhaupt nicht oder nur zu Hause.
Ich war sogar im Zweifel, wann ich
mich einfinden mußte. Wenn ich spät kam, nach den anderen, würde man mich für
unhöflich halten. Kam ich zu früh, würde das als aufdringlich gelten. Wie ich
es auch drehte und wendete, ich sah keine Lösung.
»Kommen wir auch nicht zu spät?«
fragte ich Mula Ibrahim, der zu meinem Glück oder Unglück neben mir ging, denn
ich wäre umgekehrt, wäre ich allein gewesen. »Kommen wir auch nicht zu spät?
Oder zu früh?«
»Wir warten, bis die Leute aus der
Moschee kommen, das ist der richtige Augenblick, mit Gottes Hilfe.«
»Jetzt tut es mir leid, daß ich
mitgegangen bin.«
»Halte dich nur an mich.«
An der Ecke der Straße, in der
Hadschi Duhotina wohnte, stand der alte Fähnrich Muharem unter der Laterne und
bettelte.
Ich gab ihm verschämt etwas
Kleingeld. Ich schämte mich, weil ich Almosen gab, und ich schämte mich, weil
ich zu der Gesellschaft ging. Dort war sein Platz, nicht meiner. Seiner vor
allen anderen, die kommen würden.
»Es ist schrecklich, daß so ein
Mensch bettelt«, sagte ich niedergeschlagen.
»Er bettelt aus Starrsinn, weil sie
ihn vergessen haben. Deshalb steht er auch hier, damit sie ihn sehen.«
»Trotzdem schäme ich mich.«
»Du hast keine Schuld.«
Ich war nicht schuld, aber ich
schämte mich. Verzeih, alter Querkopf, dachte ich. Du handelst aus Trotz, ich
aus Not. Du willst, daß es dir schlechter geht, ich, daß es mir besser geht.
Was ich mache, kannst du nicht, was du machst, kann ich nicht. Aber ich glaube,
daß beides nicht richtig ist.
Wir versteckten uns in der dunklen
Gasse wie Kinder, warteten wie Narren. Es wurde Nacht, und ich fand es lächerlich.
Sahen so achtbare Gäste aus?
Und ich begann zu fluchen, auf die
sogenannten alten Krieger und auf mich Narren, der unter diesen Denkmälern wie
ein Affe wirken mußte, der unaufrichtig lächeln und sich aufrichtig fürchten
würde, statt friedlich mit seiner Frau zu Hause zu sitzen und zu sein, was und
wie er wollte. Nie konnte man sein Leben so zugrunde richten, als wenn man es
zu verbessern suchte und nicht wußte, warum und wie man es verbessern sollte.
Ich wußte nicht, ob es eine Verbesserung oder eine Verschlechterung war, wenn
ich meinen Frieden verlor.
»Da, sie kommen vom Gebet«,
flüsterte Mula Ibrahim, als gälte es, in den Kampf zu ziehen. »Gehen
Weitere Kostenlose Bücher