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Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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Eindringlinge zu treten. »Verschwindet, ihr Nichtsnutze«, schalt
ich sie ohne Zorn. »Wollt ihr uns aus unseren Gassen vertreiben?«
    Auch Kinder waren auf der Gasse. Sie
umringten den alten Mehmed-aga Čaluk, der wie immer einen gelben Fuchspelz
trug. Er warf mit kleinen Münzen um sich, und die Kinder lachten, kreischten,
stießen einander mit Köpfen und Schultern, balgten sich wie Spatzen um
Getreidekörner und scharten sich wieder um den Alten, und der lächelte und säte
mit weißer Hand die wertlosen Münzen aus, zu seiner und der Kinder Freude. Er
war der einzige Herrscher, der etwas gab, und sie die einzigen Untertanen, die
etwas empfingen. Doch weder verlor er etwas durch seine Verschwendung, noch
gewannen sie etwas durch ihre Habgier. Und diese bunte, närrische, unernste
Schar schenkte sich und anderen jeden Tag eine billige Belustigung, ihr
kindliches Treiben gab der Stadt Duft und Helle.
    Warum hatte ich mich früher über die
Kinder und den Alten geärgert? Heute sah ich ihnen lächelnd zu.
    Vor unserem Laden blieb ich stehen.
Im Fenster war ein Bild des Sultans, größer, schöner, in vergoldetem Rahmen.
Auch die Unterschrift war seriöser und in schönen kalligraphischen Buchstaben
ausgeführt: Allahs Liebling, unser Herrscher. Auch ihm lächelte ich zu
und sagte: »Guten Morgen, Herr. Von nun an werden wir uns jeden Tag begegnen.«
    Es kam mir vor, als lächelte er
zurück, er war nicht streng oder albern wie der frühere.
    Erst jetzt sah ich, wie gern ich
diesen Laden mochte und wie sehr ich ihn brauchte. So unbedeutend, schmal,
niedrig, eng, kläglich, aber – es war mein Laden. Ich schnupperte: Es stank.
Alles war wie immer, und alles würde unverändert bleiben. Hier war Sicherheit.
    Mula Ibrahim empfing mich
liebenswürdig, freundschaftlich, obwohl er wehmütig ernst war wie beim
Begräbnis eines nahen Verwandten, an dem ihm nichts lag. Er freue sich, sagte
er, daß ich wieder gesund sei und bei ihm vorbeischaue, er habe sich nach mir
erkundigt und hoffe, daß man mir das ausgerichtet habe.
    Ja, danke. Und an dem, was auf der
Gesellschaft bei Hadschi Duhotina vorgefallen sei, trüge ich keine Schuld. Ich
sei ein wenig betrunken, ein wenig verärgert gewesen und habe halt gesagt, was
ich nicht sagen sollte. Ich bedaure es seinet- und meinetwegen und auch wegen
einiger anständiger Menschen.
    Was könne man da tun, so etwas komme
eben vor, sagte Mula Ibrahim traurig.
    Aber hier sei es feierlich wie an
einem Festtag, bemerkte ich und versuchte zu scherzen. Der Ernst war mit trägem
Schritt davongegangen und hatte drückendes Schweigen hinterlassen.
    Er griff den Scherz nicht auf. Er
hätte das Ganze ein wenig verändert, sagte er, verbessert, umgebaut. So gut wie
möglich.
    Die andere Hälfte des Ladens war
durch Bretter abgetrennt. Ich schaute dahinter: zwei milchbärtige Jünglinge,
sie gaben sich verlegen und erschrocken.
    »Ich mußte sie nehmen«, sagte Mula
Ibrahim. »Wegen der Arbeit.«
    »Gibt es
denn soviel Arbeit?«
    »Ja, Gott
sei Dank.«
    Ich lachte und erinnerte ihn an
seine Worte: »Viel Unglück, viel Verdienst.«
    »So
ungefähr.«
    »Und ich?
Wo werde ich sitzen?«
    Er
blinzelte mit den kleinen Augen, schluckte, umschlang mit den Armen seine
schmale Brust, als hätte er Schmerzen.
    »Du? Tatsächlich,
da wird sich kein Platz finden.«
    »Wieso? Ich
verstehe nicht.«
    »Ja, siehst du, du bist so lange
nicht gekommen, da habe ich die beiden eingestellt. Ich dachte, du hättest eine
andere Arbeit gefunden.«
    »Was für eine andere Arbeit? Du
weißt, daß ich krank war.«
    »Woher denn? Du kommst nicht, gibst
nicht Bescheid, und dabei drängen sich die Kunden, als hätten sie es auf mich
abgesehen.«
    Auf einmal wurde mir klar, was mich
betroffen hatte. Es erging mir wie jenem klugen Mann, dem man die Unterhosen
auszog, ihn zu Boden warf, über dem man mit der Rute ausholte und der sofort
begriff, daß man ihn verprügeln wollte.
    Ich hätte es früher wissen müssen:
Er hatte mich nicht besucht, hatte nicht nach mir gefragt, hatte mich nicht
rufen lassen. Alles war längst vorüber, vielleicht schon seit besagtem Abend.
Und ich sagte völlig überflüssigerweise: »Du entläßt mich also?«
    »Ich hatte nie die Absicht, dich zu
entlassen. Du siehst selbst, daß es so gekommen ist.«
    »Es ist so
gekommen, wie es andere gewollt haben.«
    »Du kommst nicht, gibst nicht Bescheid,
die Kunden drängen sich.«
    »Als hätten sie es auf dich
abgesehen, ja, das hast du schon gesagt. Mir

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