Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
Vom Netzwerk:
ist alles klar.«
    »Ich zahle dir einen Lohn, sagen wir
zwei, für die Übergangszeit.«
    »Danke, ich
nehme keine Almosen.«
    »Ich gebe
es aus Freundschaft.«
    Er hielt
mir das Geld hin, es lag schon bereit.
    »Bitte,
nimm. Du hast es verdient.«
    Seine
Stimme war leise, erstickt, gequetscht, das faltige Gesicht verkrampfte sich
vor Mühe, ruhig zu bleiben, der Blick verlor die Sicherheit. Seine schmalen
Lippen verzogen sich wie zum Weinen.
    Ich nahm das Geld und konnte nun
gehen. Aber ich blieb. Ich stand da und sah ihn an. Er hatte Angst vor meinem
Blick, vor einem bösen Wort. Aber ich hatte es nicht. Ich wußte, daß er auch
vor den Worten anderer Angst hatte, die wichtiger waren als ich. Und ich
dachte: Mein Gott, was geht jetzt in diesem Mann vor, oder was geht seit Tagen
in ihm vor? Man hat ihm befohlen, mich zu entlassen, er hat nicht gewagt, den
Gehorsam zu verweigern. Ein anderer hätte es gewagt, er nicht. Seine Angst vor
Stärkeren war fast unbegreiflich. Wie Angst vor einem Blitzschlag, einem Erdbeben,
einem Verhängnis, eine Angst, die nicht zu erklären und nicht zu heilen war.
Als ihm das unheilkündende Wort überbracht worden war, jemandes Wunsch und
Befehl, durch den Mund eines Fremden natürlich, eines weniger Bedeutenden, aber
Unanfechtbaren, hatte er sicher augenblicklich zugestimmt, mich zu opfern. Der
Blitz war von hoch oben eingeschlagen und hatte ihm keine Zeit für lange Erinnerungen
gelassen. Und dann war die Nacht gekommen und die Schlaflosigkeit oder der
nächste Tag oder der übernächste, und aus dem Dickicht der Gedanken war ich
aufgetaucht. Gott wußte wie, Gott wußte wo. Vielleicht hatte er mich hier in
diesem engen Laden zu sehen geglaubt, über Bittschriften und Beschwerden
gebeugt. Vielleicht am Wasser, das mein Spiegelbild in tausend Splitter
zerschlug. Vielleicht in den Wellen des tobenden Dnjestr, durch den ich wie
von Sinnen die Nußschale von Boot und die Hülle eines Menschen schleppte, ohne
daran zu denken, ob ich selbst an Land gelangen würde.
    Ich war alles mögliche gewesen,
verrückt, wild, hilflos, spöttisch, unbequem, doch nie sein Feind. Er aber
wußte, daß er mich dem Strom überlassen mußte und nicht die Hand ausstrecken
durfte, um mich festzuhalten. Und er wußte, daß mir Unrecht geschah. Doch er
führte das Unrecht aus. Es war nicht leicht für ihn. Sicherlich hatte er
deshalb nicht geweint, sich aber lange im Bett gewälzt und vergebens gequält,
denn alles war entschieden, und er konnte nichts daran ändern, er kam auch gar
nicht auf den Gedanken, nicht einmal seinem Gewissen zuliebe. Aber zu seinem Unglück
konnte er mich weder vergessen noch schwärzer malen, als ich war. Nur mit drei
Dingen konnte er sich rechtfertigen und trösten: mit dem Schicksal, das stärker
war als wir, mit seiner rechtzeitigen Warnung, daß ich mich vor dem Teufel in
mir hüten solle, und mit der Hoffnung, daß ich ihm am Ende ein grobes Wort
sagen würde. Er wollte es im Herzen als Amulett bewahren, im Gedächtnis als
Arznei, im Gewissen als Rechtfertigung. Falls die Reue kam, denn der Mensch ist
nicht Herr seines Handelns. Vielleicht hätte er es auch als Vorwand benutzt, um
beleidigt zu sein. Gold wäre ihm dieses grobe Wort wert gewesen, diese
Felshöhle, in der er sich verschanzen konnte.
    Ich gönnte ihm die Rechtfertigung
durch das Schicksal, obwohl dieses Schicksal Vor- und Zunamen hatte und obwohl
zu diesem Schicksal auch seine Feigheit gehörte. Ich gönnte ihm auch den Trost,
weil er mich im voraus gewarnt und ich nicht auf ihn gehört hatte, hierin war
er wirklich im Recht. Aber ich gönnte ihm nicht die Genugtuung, sich durch ein
grobes Wort von mir reinzuwaschen, soviel verdiente er nicht.
    Offenbar hatte ich ihn schwer
enttäuscht. Ich sagte: »Ich glaube nicht, daß du dir das ausgedacht hast, Mula
Ibrahim.«
    Er schaute abwechselnd mich und den
Verschlag an, hinter dem fremde, neugierige Ohren lauschten; verwirrt und aufrichtig
unglücklich wagte er nicht, mir ein Wort des Bedauerns zu sagen, fand er nicht
den Mut für ein belehrendes Wort. Obwohl ein Vorwurf an die Adresse meiner
Dummheit oder der Rat, sie nie zu wiederholen, ihm beträchtliche Anerkennung
von seiten der Leute einbringen konnte, an denen ihm lag. Insgeheim war ich ihm
verbunden für diesen Mut und dieses Opfer.
    »Ich danke dir für alles«, sagte ich
schließlich. Es klang hämisch.
    Er aber nahm es ganz ernst und
dankte Gott, daß er die Möglichkeit gehabt hatte, mir zu helfen, soweit

Weitere Kostenlose Bücher