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Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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so stark wie in dem Augenblick, als ich über
mein Mißgeschick lachte, weil ich nicht wußte, was ich sonst tun sollte, aber
dennoch kräftig genug, daß ich tapfer nach einer Lösung, einem Ausweg unter so
vielen Möglichkeiten suchte, die es in der Welt gab. Daß es sie gab, bewiesen
die Menschen, die lebten. Irgendwie lebten. Mehr verlangte auch ich nicht.
    Ich wußte: Solange ich atme, hoffe
ich.
    Not kennt kein Gebot.
    Man soll den Tag nicht vor dem Abend
loben.
    Kein Wunder dauert länger als drei
Tage.
    Ich wußte und glaubte viel. Alles
hing von mir ab.
    Anfangs gelang es mir noch, bei dem
einen oder anderen vorzusprechen, der mir helfen konnte. Aber dabei kam nichts
heraus.
    Mula Ismail, der Volksvertreter für
unsere Gemeinde, empfing mich so liebenswürdig, daß ich glaubte, er verwechsele
mich mit jemand anderem. Dann aber merkte ich, daß er mich weder verwechselte
noch wußte, wer ich war, und er nahm es auch nicht zur Kenntnis, so sehr ich
mich darum bemühte. Er war aus Gewohnheit höflich, das gehörte zu seinen
Aufgaben, und zwar zu jedermann, denn er konnte und mußte nicht alle Menschen
kennen, aber höfliches Benehmen blieb im Gedächtnis, auch wenn dem Unternehmen
kein Erfolg beschieden war. Noch eines wunderte mich: er fragte mich nicht,
warum ich gekommen war, was ich wünschte. Es sei ihm angenehm, mich zu sehen,
sagte er, und es würde ihm immer angenehm sein, aber ich konnte mir einfach
nicht vorstellen, warum. Ohne Pause und ohne mich zu Wort kommen zu lassen,
fuhr er dann fort, über verschiedene Fragen zu sprechen, über die Frage des
Krieges beispielsweise, den man ohne Einigkeit nicht führen konnte. An unseren Verlusten in Rumänien und
Rußland sei nicht die Schwäche des muslimischen Heeres schuld, sondern die
Uneinigkeit der Heerführer und das Fehlen von Gottes Hilfe. Andere Fragen waren
die Mißachtung des Glaubens, die Mißachtung der Behörden, die Mißachtung
gegenüber hochgestellten Persönlichkeiten. Niemand erweise mehr den Paschas,
den Ulemas, ja selbst den Kadis den nötigen Respekt. Und solche Zügellosigkeit
sei ein Vorbote der Pest. Allerdings, wie das Buch verkünde, seien auch rote,
von Norden her aufziehende Wolken Vorboten von Pest und Krieg. Und Schnee, wenn
er zur Unzeit fiel, wie im vergangenen Jahr, als es am 24. August geschneit
habe. Und wenn die Hunde heulten, während der Muezzin vom Minarett zum Gebet
riefe. Und wenn die Kinder Schmähreden über Juden und Christen führten. Und
wenn sich das Volk zu sehr vermehre. Und wenn die Menschen ihre Begierden nicht
zügelten. Und so erblickte er in allem ein Vorzeichen von Pest, von Krieg und
Mißgeschick, was gar nicht so dumm war, denn die Menschen wurden unaufhörlich
vom Mißgeschick heimgesucht, und wenn man es schon nicht abwenden konnte, so
konnte man es wenigstens erklären, womit die halbe Arbeit getan war. Die andere
Hälfte hing ohnehin nicht von uns ab.
    Mich interessierten weder Kriege
noch Streitigkeiten unter den Heerführern noch die Ursachen der Pest, und ich
verlor allmählich die Geduld: Wie lange sollte dieses leere Geschwätz noch
dauern, einen Tag, einen Monat, ein Jahr, eine Ewigkeit? Würde er auch als
Gerippe mit fleischlosen Kiefern einem anderen Gerippe, meinem, etwas
vorklappern? Würde er das, wenn ich ihm nicht Einhalt gebot?
    Vielleicht war er sich meiner
Gegenwart nicht bewußt, vielleicht hielt er mich für irgend jemanden, der ihm
tags zuvor, im vergangenen Jahr, immer, seit jeher zugehört hatte, stets
derselbe, nur mit anderem Namen, bedeutungslos, gesichtslos, wie eine Perle in
der Zählschnur. Wichtig war nur, was er sagte – wer zuhörte, war gleichgültig.
    »Entschuldige, daß ich dich
unterbreche«, sagte ich und nahm allen Mut zusammen, der mich schon zu
verlassen drohte. »Ich hin hier, weil ich dich um etwas bitten möchte.«
    »Natürlich«, antwortete er
liebenswürdig. »Auch Ungehorsam ist ein Vorzeichen der Pest.«
    Ich wußte es bereits, auch die
Liebe, der Haß, das Leben, alles war ein Vorzeichen der Pest.
    Mir wurde übel davon.
    »Ich komme morgen wieder, wenn du
Zeit hast. Ich brauche einen Rat, eine Empfehlung, ich möchte deine Meinung
hören.«
    »Ja, es gibt Dinge, die der
menschliche Verstand nicht begreift. Als die Brüder Morić erdrosselt
wurden, kam es in Sarajevo zu einem Erdbeben, und als der Großwesir
Sirhan-Pascha starb, zeigte sich ein großer Komet über der Stadt.«
    Großer Gott, dieser Volksvertreter
lebte in der Wüste wie ein Beduine.

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