Die Festung
geht es Tijana?«
»Schlecht.«
»Warum? Was ist geschehen?«
»Allerlei. Schick deine Gehilfen
weg, ich bin gereizt wie ein Gänserich.«
»Das wäre mir unangenehm. Wir haben
doch nichts zu verbergen.«
»Wenn du nichts zu verbergen hast,
ich auch nicht.«
Ich erklärte in häßlichstem Ton, und
häßlich war es ja auch, wie lang ein Monat sein konnte, wenn man sich in einer
solchen Lage befand wie ich. Ich war ein Schreckgespenst geworden, ein
schwarzes Schaf, gefährlicher als ein Räuber, nur daß ich nicht wußte, wem ich
für dieses Glück zu danken hatte. Brauchte die Obrigkeit einen beliebigen
Schuldigen, um ihre Existenz und ihre Grausamkeit zu rechtfertigen? Wichtig war
nicht, was jemand tat, sondern was andere von ihm behaupteten. Jetzt war die
Wahl auf mich gefallen. Na wenn schon. Für mich war es nicht schwer. Es war
sogar besser so, ich hatte keine Herren und keine Freunde, keine
Verpflichtungen und Verbindlichkeiten. Ich hatte auch keine Angst mehr, ich
hatte erfahren, wie ein Vogel lebte, und ich konnte sagen, daß es herrlich war.
Ich mußte ihm die Hand küssen, weil er mich aus dem Dienst gejagt hatte, denn
sonst hätte ich all dies nicht erlebt, ich
wäre mein Leben lang der Sklave beliebiger Herren gewesen und hätte geglaubt,
daß es anders nicht sein könne. Ich wäre blind geblieben, wie ich aus dem Krieg
heimgekehrt war, und nie wieder sehend geworden. So hatte mir das Unrecht, dem
ich dafür dankte, zu der Erkenntnis verholfen, wie schön das Leben sein konnte,
wenn es frei war, mochte es auch schwer sein. Und am meisten freute ich mich
über die Erkenntnis, was für ein Schatz meine Frau war. Das Unglück war wie
Feuer, es schmolz alles außer Gold. Manchmal hielt ich das allerdings für einen
Nachteil, denn wäre sie böse gewesen, und das wäre kein Wunder, dann hätte ich
an ihr meine ohnmächtige Wut ausgelassen und mir Erleichterung verschafft, wenn
die Not zu groß wurde. Aber wie konnte ich das tun? Sie, die Ärmste, ertrug den
Hunger, flickte alte Kleider und tröstete mich noch, als wäre sie schuld. Sie
war schwanger gewesen und hatte eine Fehlgeburt gehabt, ich hatte sie mit
schlechten Nachrichten und leerer Liebe ernährt, und damit hatte sich noch nie
jemand gestärkt. Jetzt brauchte ich bessere Nahrung für sie, und nur ihretwegen
war ich gekommen, um mir etwas Geld zu leihen. Die mir bis jetzt geholfen
hatten, besaßen selbst nichts mehr, ich wußte auch nicht, warum und womit sie
uns geholfen hatten. Ihre Großmut war bewundernswert, denn sie waren mir durch
nichts verpflichtet, aber auch nicht grenzenlos, denn es waren arme Leute.
Jetzt war ich in Bedrängnis geraten und gezwungen, ihn um ein Darlehen zu
bitten, es fiel mir nicht leicht, aber in der Not war die Ehre nicht viel wert,
und ich tat es nur meiner Frau zuliebe, mir tat das Herz weh, weil sie ohne
Schuld leiden mußte. Und ich kam auch nur zu ihm, weil wir früher Freunde
gewesen waren.
»Das sind wir auch jetzt«, sagte er
bewegt.
»Nicht mehr, Mula Ibrahim, gib dir
keine Mühe. Wir waren es, und ich habe gedacht, daß wir es immer sein würden,
aber wirsind es nicht mehr. Es tut mir leid, ich bin nicht schuld daran.«
»Ich auch nicht.«
»Dann ist das Schicksal schuld. Was
kann man da machen.«
Ich war mißlaunig, sauer,
unfreundlich, ich lud ihm die Last meiner Nöte auf, obwohl ich wußte, daß er
nichts dafür konnte. Seine Angst war stärker als all seine anderen
Empfindungen, und sicher schämte er sich ihrer, aber er konnte nicht gegen sie
an. Er war ein guter Mensch, und unter anderen, weniger harten Umständen wäre
er aller Achtung wert gewesen. Doch wo waren diese besseren Umstände, würde es
sie jemals geben? Ich wußte es nicht, ich glaubte es nicht, heute jedoch, das
sah ich genau, war auch er ein Opfer unter vielen.
»Verzeih mir«, sagte ich weicher.
Er sah mich dankbar an, ich hatte
leichthin die Schuld von ihm genommen, ebenso wie ich ihn leichthin angeklagt
hatte, und seine gute feige Seele atmete auf.
Er wollte mir etwas sagen, etwas Schönes
und Herzliches, wie ich aus seinem gerührten Gesichtsausdruck zu erraten
glaubte, aber er verzichtete darauf, sich durch ein Wort zu binden, das
niemandem nützen und ihm nur schaden konnte.
Ich bedauerte, daß er sich eines
anderen besonnen hatte. Aus seinem unausgesprochenen menschlichen Wort hätten
wir beide Nutzen gezogen, er hätte sein Gewissen ein wenig entlastet, und mich
hätte die Einsicht getröstet, daß er trotz allem ein
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