Die Festung
Mensch war. Ich hätte es
niemandem verraten, um ihm nicht zu schaden.
Er tat etwas Einfacheres. Öffnete
die Schublade, zählte Geld hin, sogar mehr, als er beabsichtigt hatte.
»Ich weiß nicht, wann ich es
zurückgeben kann.«
»Das macht nichts. Und komm wieder,
wenn du in Not bist.«
»Ich fürchte, ich werde lange in Not
sein.«
»Das höre ich nicht gern. Du willst
also nichts tun, damit es besser wird.«
»Bin ich denn schuld, Mula Ibrahim?«
»Wenn keine Schuld vorliegt, dann
ist es Mißgeschick.«
»Was ist Schuld, und was ist Mißgeschick?«
Er flüsterte so leise, daß ich ganz
nahe zu ihm treten mußte, um es zu verstehen. Er wollte nicht, daß die Gehilfen
etwas hörten, wollte aber auch nicht, daß wir allein waren. So wurde das
Gespräch zur Folter.
»Ich weiß es nicht. Ich weiß es
nicht genau, denn ich verstehe dich nicht. Ich erinnere
mich an die Bauern aus Župča und an dein Gelächter, als wir das Bild des
Sultans ins Fenster stellten. Mir bricht noch heute der kalte Schweiß aus, wenn
ich daran denke.«
»Beides war zu nahe beieinander.«
»Alles im Leben ist zu nahe
beieinander.«
»Ich weiß, das Gute und das Böse.
Aber Verbrechen und Untertanentreue?«
»Wie willst du alles verändern, was
nicht taugt?«
»Ich will nichts verändern. Aber ich
sehe, daß es nicht taugt.«
»Mußt du dich deshalb zugrunde
richten? Siehst du, eben das begreife ich .nicht. Wärst du ein Rebell, würdest
du die Zähne zusammenbeißen und kämpfen. Du würdest nichts dabei gewinnen, aber
du hättest ein Ziel, wenn auch ein falsches. Du willst sagen, so ist es, doch
du nimmst die Strafe nicht an, du bist erstaunt, beleidigt, verletzt. Dann bist
du kein Rebell. Rebellen teilen Schläge aus und stecken sie ein, ohne sich zu
wundern. Vielleicht liebst du all das zu sehr, und es tut dir leid, daß
häßliche Dinge geschehen? Das kann ich nicht glauben. Nein, ich weiß nicht, was
du bist. Ich weiß nicht, was du willst, aber ich weiß, daß du dich zugrunde
richtest. Warum?«
»Ich habe im Rausch gesagt, was ich
gar nicht dachte. Ist das eine so große Sünde?«
»Warte, reg dich nicht auf. Ich
werfe dir nichts vor. Wir unterhalten uns nur. Meinst du, daß ich es leicht
hatte?«
»Wer hat dir befohlen, mich zu entlassen?«
»Das tut nichts zur Sache. Du sagst,
du hast gedankenlos dahergeredet? Niemand fragt danach, was du gedacht, sondern
was du getan hast. Der Gedanke gehört nur dir, die Tat ist offenbar.«
»Was für eine Tat? Ich habe nicht
gestohlen, niemandem Gewalt getan, keinen Schaden angerichtet. Sind leere Worte
eine Tat?«
»Still! Willst du denn immer, daß
man dich hört? Das Wort ist eine Tat, und was für eine. Hättest du gestohlen,
Gewalt geübt, Schaden angerichtet, hätte man dir vielleicht verziehen. Aber du
hast über etwas gesprochen, was jeder Gescheite für sich behält. Das verzeihen
sie nicht.«
»Ich habe die Wahrheit gesagt.«
»Um so schlimmer. Das Wort ist
Pulver, es kann jeden Augenblick explodieren. Unzufriedenheit gibt es immer,
aber sie bricht nie von selbst aus. Ein Wort gibt den Anlaß.«
»Warum halten wir dann mit dem
Schießpulver zurück? Warum soll die angehäufte Unzufriedenheit nicht ausbrechen?«
»Nein, du bist nicht so naiv. Du
hast nicht geschwätzt, was du nicht dachtest. Jetzt sehe ich es. Du wirst dich
zugrunde richten, und ich weiß nicht warum.«
»Ist dir denn Rechtschaffenheit so
ein Rätsel?«
»Rechtschaffenheit nicht, aber dein
Verhalten. Ich habe viel über dich nachgedacht. Ich versuche, mir Klarheit über
dich zu verschaffen.«
»Und ist dir das gelungen?«
»Ich sage doch, ich versuche es. Du
bist ganz jung in den Krieg gezogen, ohne jede Erfahrung, anständig wie die
meisten jungen Leute. Aus dem Krieg bist du so unreif heimgekehrt, wie du
warst. Nur verwirrt, weil du nicht geglaubt hattest, daß Menschen so roh sein
können. Aber noch mehr verwirrt hat dich die Grausamkeit des Lebens ohne Krieg.
Du dachtest, der Krieg ist schrecklich, warum dann auch das Leben in Frieden?
Und du meintest, die Menschen sähen das nicht, und es sei deine Pflicht, ihnen
das zu sagen.«
»Ist sie es denn nicht?«
»Wärst du nicht im Krieg gewesen,
hätte dich das Leben allmählich abgeschliffen, und du hättest dich seinem Lauf
angepaßt, ohne darüber nachzudenken, daß es anders sein müßte. Das ist meine
Erklärung: der Krieg hat dich um die Lehrjahre des Lebens gebracht.«
»Ich habe viel im Krieg gelernt.
Zuviel sogar.«
»Nicht für
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