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Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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den Frieden. Der Krieg
ist ein grausamer, aber ehrlicher Kampf, wie unter Tieren. Das Leben im Frieden
ist ein grausamer, aber unehrlicher Kampf, wie unter Menschen. Das ist ein
gewaltiger Unterschied.«
    »Allmählich beginne ich zu lernen.«
    Dann ging er hastig zu etwas anderem
über, ich wunderte mich schon, daß er so offen gesprochen hatte.
    »Tijana tut mir leid. Du auch. Ich
will zusehen, wie ich dir helfen kann.«
    »Wie?«
    »Ich weiß es noch nicht. Ich werde
nachdenken.«
    So zischelten wir wie die
Gänseriche, um für uns zu behalten, was andere gern gehört hätten, und die
beiden Milchbärte hinter dem Verschlag hielten uns sicher für selbstsüchtig
und ungerecht. Sie würden jenen wenig sagen können, die sie über unser Gespräch
ausfragen würden.
    Für mich war bei all der Klügelei
nichts herausgekommen, außer der Tatsache, daß Mula Ibrahim mehr über mich
nachgedacht hatte, als ich vermutet hätte. Das war etwas, wenn auch nicht viel.
Seine Mitteilungen waren interessant, doch sie nützten mir nichts. Ich war im
Krieg gewesen, daran konnte ich nichts ändern, mir waren die Lehrjahre verlorengegangen,
das Glück, vom Leben abgeschliffen zu werden wie ein Kieselstein vom Wasser,
und nun kam ich anderen seltsam vor und war mir selbst fremd.
    Wer war ich, wo, in welchem Fach, zu
welcher Gemeinde gehörte ich? Wie war ich, gut oder schlecht, oberflächlich
oder gedankenvoll, was bedeuteten mir die Menschen und das Leben, wonach
strebte ich, was erwartete ich von mir und anderen?
    Mir selbst kam ich ganz gewöhnlich
vor, warum war ich dann anders?
    Sonderte ich mich ab, oder wurde ichabgesondert?
    Ich liebte die Menschen, aber ich
wußte nichts mit ihnen anzufangen.
    Wer hätte meine ständige Erinnerung
an die toten Kameraden in den Wäldern bei Chotin verstanden, und was waren
sie, Anklage oder Wunde?
    Zu wem konnte ich von meinen kleinen
Freuden sprechen, die jedem lächerlich vorkommen mußten, aber die ich gegen
nichts eingetauscht hätte: der Nacht und ihrem Rauschen zu lauschen, den Glanz
des Mondlichts auf dem Laub zu sehen, meine Frau im Schlaf atmen zu hören?
    Und wie sollte ich jemandem
erklären, daß ich die beiden Paros bedauerte, Mahmut Neretljak, den Barbier
Salih vom Alifakovac, die alten Krieger, die vor der Moschee bettelten, und die
neuen, die in den Kampf zogen, ohne zu wissen, was sie erwartete?
    Was konnte ich mit meinen
unvernünftigen Gedanken anfangen, die außer mir keinem schadeten oder nützten,
die niemand brauchte? Sie waren unnötig, verrückt, nutzlos, aber mir kam es
vor, als bedeuteten sie mir die halbe Welt, wenn nicht noch mehr, und daß ich
ohne sie nicht ich gewesen wäre, sondern ein anderer, taub und verstümmelt,
mir selbst fremd.
    Vor der Sijavuz-Pascha-Synagoge, wo
die Juden von Sarajevo wie in einer Festung lebten, traf ich Asim Pecitava. Er
schleppte Wasser vom Brunnen bei der Beg-Moschee. Vor dem Hoftor, durch das er
von früh bis spät zahllose Male ging, setzte er, wütend auf die ganze Welt, die
zwei großen Krüge ab, um zu verschnaufen. Er sah erschöpft aus.
    Zwei große Krüge voller Wasser für
andere, das war sein Leben.
    »Ist es
schwer?« fragte ich sinnlos.
    Asim sah mich verwundert an, als
verstünde er nicht oder als hielte er mich für verrückt. Was von beiden es auch
war, er antwortete auf seine übliche Art: Er begann saftig und ausgiebig zu
fluchen.
    »Du hast recht«, sagte ich.
»Besonders, wenn dir davon leichter wird.«
    Mahmut Neretljak empfing mich auf
der Veranda, er massierte sich die schmerzenden Waden, seine Krämpfe kamen
immer häufiger. Mit einer Handbewegung gebot er mir, leise zu sprechen, Tijana
schlief.
    »Hast du
etwas bekommen?« fragte er flüsternd. »Nein. Er gibt nichts her.«
    »Ich wußte es. Bei Gott, ich wußte
es. Mula Ibrahim hat eine kleine Seele. Klein wie ein Hirsekorn.«
    »Wieso hast du gewußt, daß er nichts
hergeben würde?«
    »Ich habe ihn auch schon gefragt, in deinem Namen.«
    »Wann denn,
du Unglücksrabe?«
    »Was weiß
ich! Als es nötig war.«
    »Und du hast mir nichts davon
gesagt. Er übrigens auch nicht.«
    »Wenn ich etwas bekommen hätte,
hätte ich es schon gesagt. Und er hat keinen Grund zu prahlen.«
    »Wenn ich dir sagen würde, daß er
etwas gegeben hat?«
    »Hat er?«
    »Ja.«
    »Das habe ich gewußt. Bei Gott, das
habe ich gewußt. Warum sollte er dir nichtS geben? Du hast ihm auch geholfen.«
    »Also du siehst, daß er keine kleine
Seele hat.«
    »Manchmal klein, manchmal

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